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Literatur

kämpfen eins

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelSonntag, 18.06.2017

Zum ersten Mal gehört habe ich von Karl Ove Knausgård auf dem Literaturfestival in Lillehammer, wo wir gegen norwegische Autoren Fußball spielten: ein wortkarges, brutales Team, dessen berühmtester Autor leider nicht mitspielte, weil er als menschlich zu schwierig galt. Ein gewisser Knausgård, der gerade in ganz Skandinavien einen unglaublichen Bestseller gelandet hätte, indem er Tausende von Seiten über sein Leben geschrieben und das ganze dann „Mein Kampf“ genannt hatte. Wahnsinn, leider konnte keiner von uns Norwegisch.

Das war 2010 und niemand ahnte, was für eine Welle auf uns zukam, seltsamerweise über den Umweg der USA. Drei Jahre später gab es in der berühmten Paris Review ein ellenlanges Gespräch mit einem Autor zu lesen, der sich vorgenommen hatte, das eigene Leben so ernst zu nehmen wie Joyce einen Tag in Dublin oder Proust die verlorene Zeit – und das gleichzeitig so kunstlos und aufrichtig aufzuschreiben, dass es literarischer Selbstmord war: Knausgård! „Komplett ohne Würde“, so der Titel des Interviews, geht es ihm um die Rückgewinnung des alleralltäglichsten Lebens als Erzählwert. Danach sofort besorgt: Jeden verfügbaren Band aus Knausgårds „Min Kamp“-Projekt, das nach und nach auf Deutsch erschien. „Leben“ (ganz gelesen), „Lieben“ (halb gelesen), „Spielen“ (an Detlef Kuhlbrodt weiterverschenkt), „Sterben“ (die ersten 200 Seiten gelesen), „Träumen“ (ganz gelesen).

Als „Träumen“ vor zwei Jahren erschien, nutzte ich die Chance, mir als Literaturkritiker eines Fashionmagazins beim deutschen Verlag ein Interview zu erschleichen, indem ich Judith Hermann ins Boot holte. Es war der Warhol-Ansatz meines damaligen Arbeitgebers, dass sich in den Interviews idealerweise immer so etwas wie ein Smalltalk zwischen zwei Prominenten ergeben sollte, je kunstferner und alltäglicher, desto besser. Die Idee war, dass die beiden sich übers Rauchen oder so unterhalten sollten, aber dann musste Judith Hermann leider absagen – und ich stand allein mit meinem Interview-Slot von einer halben Stunde da. Ich stürzte mich in die Vorbereitung und durchlitt eine tiefe Krise. Meine Vorstellung war, Knausgård mit einem Kunstwerk an Fragen von nie dagewesener Intensität und Originalität zu kommen … und irgendwann war ich so weit zu denken, wir könnten die halbe Stunde nutzen, um aus dem Interview eine Art Workshop in Micro-Fiction zu machen. Ich steigerte mich da vollkommen rein, und „verarbeitete“ diese Erfahrung später in einem „Gedicht“, das ich zu einem kleinen norwegischen Band mit Bildbeschreibungen beisteuern durfte:

Narrativen Holzwegen Norwegen

… Das Narrativ wandert auf dem Holzweg vorbei./ … Weil wir in Norwegen sind/ Muss ich knausgård denken.

An einem sonnigen Herbstvor-/ mittag des letzten Jahres hatte/ ich ihn im Rahmen seiner Welttour/ in Berlin zum Interview getroffen gehabt, draussen vor dem Savoy-Hotel, wo geraucht werden darf …

Ich interviewte ihn für das Magazin „Andy Warhol’s Interview“ und …/ … hatte mir folgende Geschichte ausgedacht:/ Im letzten Sommer wurde eine Kofferleiche in der Spree/ gefunden.

Die Polizei bat um Mithilfe, es gab nur virale Details/ das Feuerzeug der Frau, ihre Frisur/ ein Ring, die Hose (oder das Shirt) von H&M./ Eine Prostituierte, ermordet von ihren rumänischen/ Zuhältern, dachte ich./ Wochen später die Auflösung in der Zeitung:

eine Norwegerin aus der Kunstszene,/ Backpacker und Globetrotter, der Täter/ Chilene, Bruder einer Galeristin, fühlte sich/ ihr offenbar sexuell ausgeliefert, aber/ das interessierte mich schon nicht mehr./ Der Fall war doch klar ... :/ Das Opfer aus Norwegen, der Täter aus Chile,/ Bolaño meets Knausgård…/ Was für eine Geschichte.

Yes, sagte Knausgård, er kannte den Fall./ Lene Sand, aber das hätten wir off-record/ per Mail weiterspinnen müssen.

Drei Zigaretten und zwei Kaffee später/ War meine Zeit um, und ich fragte Knausgård/ noch schnell-schnell im Gehen nach der Writers League.

Ja, die kannte er. Für das norwegische Team hatte er,/ der Elch, auch mal gespielt./ Aber jetzt nicht mehr./ Wir freuten uns beide ein bisschen/ (oder lachten komisch in uns rein)/ und dann war die Zeit wirklich/ vorbei.

Soviel vielleicht noch als kleines Making-of zu meinem Interview mit Knausgård. Jedenfalls war ich dann am Ende froh, dass ich meine Warhol-Fragen gehabt hatte. Außerdem eine kleine Enttäuschung, dass er im Rahmen seiner Buchveröffentlichung im Grunde jedem ein Interview gegeben hatte (vor mir war Ijoma Mangold, nach mir Johanna Adorján dran, und sogar Gerrit Bartels vom Tagesspiegel hatte eins bekommen…). Erst da wurde mir klar, dass er – analog zu seiner Methode des literarischen Selbstmords – auch die Methode des publizistischen Selbstmords praktizierte, indem er einfach mit allen über alles sprach (siehe unten, das VICE-Interview).

Und jetzt also „Kämpfen“.

Das Buch geht super los, um einen Lieblingsbegriff von Detlef Kuhlbrodt zu gebrauchen, der auch mal ein Knausgård-Fan war (… bis er begann, ihn so halbwitzig „Knausbart“ zu nennen). Es spielt im Jahr 2009, der erste Band der „Min Kamp“-Reihe steht vor der Veröffentlichung. Knausgård hat den Text vorab Leuten geschickt, die darin vorkommen, und wartet jetzt ängstlich auf Antwort-Mails, wie die das finden. „Dein fucking Kampf“, mailt sein Bruder Ingve zurück. Knausgård ist so aufgeregt, dass er erst mal mit Kaffee und Zigarette auf den Balkon gehen muss, weil ihm bei dem Gedanken an mögliche Reaktionen seines Bruders schlecht wird (alles ist vorstellbar, es könnte darauf hinauslaufen, dass er einen Roman, aber keinen Bruder mehr haben würde – ein Preis, den er bereit wäre zu zahlen…). Aber dann liest er die Mail und findet heraus, dass sein Bruder ihn nur ein bisschen verarschen wollte, und ist heilfroh, beziehungsweise todtraurig, als er merkt, dass Ingve sich bei den nächsten Treffen tatsächlich versucht zu ändern (und nicht mehr wie ein Adorno-Leser wirken will, der Adorno nicht gelesen hat).

Und auch sonst ist viel los. Er kümmert sich um seinen Roman, den Alltag, die Kinder (die ihn dafür einen „Scheiß-Papa“ nennen) und beschreibt das in manchmal schöner, manchmal beruhigender, manchmal den letzten Nerv kostender Ausführlichkeit. Dann der große Auftritt von Gunnar, seinem Onkel, der sich an alles, was in „Sterben“ erzählt wird, nicht nur ganz anders erinnert, sondern seinen Neffen und den Verlag verklagen will, wenn sie das Buch in der ihm zugeschickten Form veröffentlichen sollten.

Auf Seite 188, auf der ich gerade bin, geht es um Peter Handkes „Wunschloses Unglück“.

Demnächst weniger.

kämpfen eins

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