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Literatur

Friedrich Kiesler, der Traum vom Endless House

Friedrich Kiesler, der Traum vom Endless House

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtFreitag, 05.05.2017

Noch bis zum 11.6.2017 läuft im Berliner Martin-Gropius-Bau eine Ausstellung über den Architekten Friedrich Kiesler. Eine gute Gelegenheit, sich mal wieder das Potemkinsche Touristendorf Potsdamer Platz anzusehen, in dem seit der Wende alle möglichen „Starchitekten" ihre Marke hinterlassen durften, inzwischen stellt man in der Gegend einfach nur noch jede Lücke mit einer leicht variierten Fassade zu und in die Gebäude kommen unverzichtbare Institutionen wie das „Berliner Spionagemuseum" oder die für jede große Stadt obligatorische Dalí-Dauerausstellung. Der passende Kontrast zur Welt von Friedrich Kiesler, von dem ich noch nie gehört hatte, aber die Ausstellung und der dazu bei Prestel erschienene Katalog („Friedrich Kiesler. Architekt, Künstler, Visionär") haben das zum Glück geändert. Es ist toll, erst in Ruhe das Buch zu lesen und dann die Ausstellung zu sehen, denn so hat man Zeit für die Texte und staunt über den unwirklichen Effekt, wenn man Fotos und Druckerzeugnissen im Original begegnet, ganz zu schweigen von den großartigen, nachgebauten Modellen und Möbeln.

Der kleine Mann (1,55!) aus der Bukowina (Czernowitz) hat sein Leben lang mit allem, was in der europäischen und später der amerikanischen Avantgarde Rang und Namen hatte, verkehrt (insbesondere mit den Surrealisten), trotzdem ist von ihm nur ein großes Gebäude realisiert worden, der Jerusalemer „Shrine of the Books", ein Bau von vollkommener Schönheit, den Kiesler als eine neue Höhle für die in Höhlen gefundenen Qumran-Rollen bezeichnete. Ein Ensemble aus einer schwarzen Basaltmauer und einem in einem Wasserbecken stehenden, weiß bekachelten, sinuskurvigen Rotationskörper, der von Außen ständig mit Wasser besprenkelt wird, während sich im nur unterirdrisch zu betretenden Innenraum die zentrale, runde Vitrine mit den Bibel-Rollen im Kreis dreht.

Kieslers zweite Frau behauptete, er habe sich entschlossen, Architekt zu werden, als er einmal unter den Rock seines Kindermädchens gekrochen ist und ein Streichholz entzündet hat. Es klingt einfach zu schön und überzeugend, denn dieser Mann hat sein Leben lang Höhlen und Grotten entworfen, und nach Wegen gesucht, in Ausstellungen die Trennung zwischen Objekt und Betrachter zu überwinden. Man könnte etwas kitschig behaupten, der Emigrant habe sich eine neue Heimat bauen wollen, aber eben auch eine biologische, denn seine jahrzehntelange Obsession, das Endless House, wirkt wie ein bewohnbarer Uterus. (Seine Mutter starb ein Jahr nach seiner Geburt, nach seiner eigenen Darstellung sogar bei seiner Geburt.)

Kiesler ist mit einem Schlag bekannt geworden, als er 1923 in Berlin ein schön steampunkiges Bühnenbild für ein Roboterstück von Karl Čapek entworfen hat. Von Anfang an hat er seine Arbeiten mit aggressiv-dadaistischen Manifesten flankiert und natürlich sofort behauptet, das Theater sei tot, um es 1924 mit einer „Raumbühne" zu retten zu versuchen, einem Podest mit einer spiralförmigen Rampe, das in der Mitte des Zuschauerraums platziert wurde (man denkt unweigerlich an das Guggenheim-Museum, tatsächlich hat er später für Peggy Guggenheim eine Galerie entworfen.) In Wien hat er im Konzerthaus für eine Theaterausstellung, weil er die Wände nicht beschädigen durfte, eine neue Präsentationsform entwickelt, die Bilder wurden von den Wänden geholt und an konstruktivistischen, schwarz-rot-weiß gestrichenen Holzaufstellern im Raum platziert (die in der Berliner Ausstellung als Nachbau zu sehen sind), was damals offenbar ganz neu war. Dafür bekam er eine Einladung nach New York, wo er, um zu überleben, zunächst mit avantgardistischen Methoden erfolgreich Schaufenster dekoriert hat, um später für den Schauraum einer Möbelhandlung das biomorphe Space House zu entwerfen, in dem die zu verkaufenden Möbel wie in einer realen Wohnsituation präsentiert wurden (kennt heute jeder von IKEA). Ein Modell davon sieht man in der Ausstellung, und man mag kaum glauben, dass es nicht aus den 60ern, sondern von 1933 stammt. 1929 hat Kiesler das Film-Guild-Cinema entworfen, das ein totales Kinoerlebnis ermöglichen sollte, u.a. dadurch, dass auch die Wände und Decke Projektionsflächen waren.

Für eine Surrealisten-Ausstellung in der von ihm für Guggenheim entworfenenen Gallery Art of this Century hat er ein Bunker mit runden Wänden konstruiert, die Bilder schweben rahmenlos an Halterungen, was an die Aufhängung moderner Flachbildschirme erinnert. Er hat Möbel entworfen (den beinlosen, fliegenden Schreibtisch!), die nie in Serie gingen, er hat „bewohnbare" Skulpturen entworfen (eine davon hat sich 1953 Philip Johnson für seinen Garten bauen lassen, sie wurde bei einem Blitzsschlag zerstört) und etliche Bühnenbilder gestaltet. Besonders gefällt mir die Mobile Home Library von 1939, ein Ring von einzeln drehbaren Bücherregalen, in deren Mitte der Lesende wie in einer Wagenburg sitzt.

Kiesler, über dessen frühe Jahre nur Anekdoten existieren, hat, wie mancher berühmte Architekt (Le Corbusier, Mies van der Rohe) nie Architektur studiert und auch gar keinen Studienabschluss. Er hat ununterbrochen Neuland betreten wollen und war seiner Zeit notorisch so weit voraus, dass anscheinend immer andere die Lorbeeren geerntet haben. In seinen ruppigen Manifesten hat er die Überwindung der Grenzen zwischen allen Kunstgattungen und Stilen gefordert. (Das Railway-Theater:„Der Dichter unserer Zeit ist Ingenieur der mit höchster mathematischer Präzision berechneten optophonetischen Spielsymphonie".) In Büchern, die seine Theorien ausführten, aber nicht immer erschienen sind, hat er von einer neuen Architektur geträumt und sich vom Konstruktivismus radikal entfernt zu einer Art biomorphen Architektur, die nicht mehr auf dem Prinzip des „Tragens" und „Lastens" beruhte, sondern auf selbsttragenden Schalenkonstruktionen. („Was sind unsere Häuser mehr als Steinsärge, die aus der Erde in die Luft ragen?" „Wir wollen Wohnungen, die so elastisch wie unsere Lebensfunktionen sind.") Er wollte Häuser und Wohnungen zu Kraftgeneratoren für den darin lebenden Menschen machen. Im Alter hat er ständig an mit Beton überzogenen Maschendraht-Modellen seines Endless House gearbeitet, einer Art bewohnbarem Schwamm, mit wie von Hefe aufgetriebenen, blasenförmigen Nischen, keiner geraden Wand, ein unendlicher Innenraum. Das Haus sollte eine zweite Haut sein und sich den Bedürfnissen des Menschen flexibel anpassen. Er nannte die Theorie dazu Correalismus und grenzte sich damit vom „Pseudofunktionalismus der Moderne" ab. Ihm ging es um die Erforschung der Wechselbeziehungen von Natur, Technik, Mensch und die gestalterische Umsetzung der Erkenntnisse. (Wobei er teilweise mit verbundenen Augen entworfen hat: „Zeichnen, Bildhauerei oder Malerei nach dem Zufallsprinzip heißt, loslassen zu können, ganz Werkzeug zu sein, statt das Werkzeug zu führen. Es bedeutet, mit ganzem Körper und Geist zu entwerfen und dabei an keinen der beiden zu denken [..] Architektur für das dem Leben verpflichtete Haus gibt es noch nicht. Das Endless House ist ein erster dahin gehender Versuch.")

Warum hat Kiesler nicht mehr gebaut? Bei einigen Projekten bleibt bis heute unklar, warum sich die Realisierung zerschlagen hat. Aber Architekten haben es nicht leicht: „Die meisten Eigentümer wollen etwas Neues und Besseres, was Design, Farbe, Materialien und Lebensbedingungen betrifft. Aber wenn sie mit einer neuen Lösung konfrontiert werden, ziehen sie sich genau in dem Moment zurück, in dem sie ihre Unterschrift darunter setzen sollen. Hier türmt sich wieder die große Frage für mich auf: Bauen oder nicht bauen? Ich fühle mich wie ein imaginärer Totempfahl aus Eisblöcken zusammengehalten durch rotglühende Eisenstangen, eingehüllt in kreischenden Dampf. Muss ich den Auftrag fallenlassen, weil der Kompromiss zu groß ist, oder muss ich weiterkämpfen, um etwas zu retten, das meinen Grundideen mit großer Wahrscheinlichkeit kaum mehr verpflichtet, sondern nur eine Befriedigung für das Komitee wäre und für mich vielleicht ein finanzieller Gewinn?" Es ist ein großes Glück, und es wirkt fast wie inszeniert, dass Kiesler in seinem Todesjahr noch die Eröffnung seines ersten großen Gebäudes, des „Shrine of the Books" erleben durfte, ausgerechnet in Israel. (Man mag sich gar nicht ausmalen, was für Diskussionen so ein Gebäude in Berlin hervorgerufen hätte.) Bei Kieslers Begräbnis im Jahr 1965 wird Schönberg gespielt und Robert Rauschenberg rollt einen Autoreifen durchs Kirchenschiff und bemalt ihn neben dem Sarg mit bunten Farben.

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