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Literatur

Ein Leser

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDonnerstag, 25.01.2018

Während ich nach wie vor versuche, irgendwie literarisch ins Neue Jahr reinzukommen – also immer noch auf das verdammte Trump-Buch „Fire And Fury“ warte (und Stefan von Holtzbrink sich in furchtbar gescripteten SZ-Interviews für seinen verlegerischen Mut loben lässt, den vorhersehbarsten Bestseller aller Zeiten gegen höchste Widerstände rausgebracht zu haben, in Wahrheit und vermutlich aus purer Angst vor einem Verbot aber chickenmäßig nur 150.000 Exemplare der ersten Auflage drucken ließ, wodurch das Buch jetzt seit Wochen nicht lieferbar ist), mich zwischendurch über Murakamis Bad Writing totlache (kriegt original nicht eine Metapher hin – „es klang wie das Heulen des Windes in einer tiefen Höhle“ usw.) oder zur Entspannung sogar wieder kicker-Spielberichte lese (immer noch die gute alte Panzerfahrer-Prosa mit ihren schön rassistischen Vereinszuschreibungen à la „die Rothosen“) – während ich also ganz normal daran scheitere, mal wieder selbst was über „Das Ende des amerikanischen Tennisromans während der Australian Open“ (aktueller Arbeitstitel) zu schreiben, finde ich doch hier und da mal eine Perle im Netz.

Zuletzt im Suhrkamp-Logbuch diesen schaurig-schönen Text über eine Begegnung in der Niemandsbucht zwischen Handke-Leser und Handke-Autor. Siehe ganz unten! Der mir bis dahin nicht weiter bekannte Suhrkamp-Blogger Benedikt Maria Trappen beschreibt darin mit alptraumhafter Präzision, wie er im letzten Herbst mit Frau und Tochter auf Handke-Urlaub in Paris war. Auf schmalem Grat zwischen Bildungsbürgertum und Stalking stromert B. M. Trappen mit seiner armen Familie durch Chaville – »nous contemplons la maison du poète Peter Handke« – und rastet dann komplett aus, als er nicht nur des Dichters in Realperson ansichtig wird, sondern von diesem auch noch ins Heim gebeten wird, wo ihm Ekel-Peter seine schlecht schmeckenden Äpfel, einen Blindenstock und ein Autogramm mit Widmung geben wird. Das liest sich ebenso „rührend“ (J. Schmidt) wie vernichtend, weil Trappen natürlich nicht anders kann, als dem Bewunderten auch noch das eigene Buch zu zeigen (das er wie einen inneren Kompass mit sich führt) und ihm eine Mail mit einer eigenen Rezension vorzulesen, um schließlich noch ein bisschen über, oh Gott, Nietzsche, Goethe und Böhme smalltalken zu wollen, wie man das halt unter Literaten so macht.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin der letzte, der hier den ersten Stein hebt. Hier ist jemand, der wirklich für Literatur brennt (und wunderbar auch, wie er Handkes kurze Repliken – „Ja, das stimmt, ich lese Böhme“ – gegen sich selbst in Stellung bringt). Dafür erinnere ich mich zu gut, in welchem Ausnahmezustand man sich selbst befand, als ich mal persönlich für eine halbe Interview-Stunde Karl Ove Knausgård kennenlernen durfte. Allerdings wäre es mir da im Traum nicht eingefallen, so mit dem eigenen Werk rumzuwedeln, beziehungsweise meine Frau durfte uns auch nur aus ca. 100 Metern Entfernung von der gegenüberliegenden Straßenseite fotografieren (von wo aus man die beiden Raucher vor dem Savoy Hotel dann zum Glück kaum noch erkannte: Could have been anybody). Und noch viel weniger wäre mir hinterher aufgefallen, dass ich gerade einem „Großen“ der „Weltliteratur“ über den Weg gelaufen bin.

Nein, was mich an B. M. Trappens großem Text so begeistert, ist, wie er auf eins der Grundprobleme der Literatur verweist: den fast schon pathologischen Drang des mehr oder weniger fanatischen Lesers (der jeder Autor mal gewesen sein muss, als er/sie/es noch klein war), selber schreiben zu wollen. Ein kindliches „Das kann ich auch!“ beziehungsweise nietzscheanisches Kopieren des Wirkungsvollen, um hoffentlich irgendwann selbst vom Schein zum Sein zu kommen. Fake it till you make it!

Dem stets zwischen Hybris und Verdammnis schwankenden Gedanken ans eigene Werk ist dann in der Folge mit einer fast schon neurotischen Vorsicht, Strenge und Demut zu begegnen, wie sie dann allerdings in der Tat nur die wirklich Größten hinbekommen. Im Umgang mit dem eigenen Schreiben trennt sich mit einer kaum zu erlernenden Härte die Spreu vom Weizen. Und dennoch gilt auch hier, wo so oft im Leben: If Selbstbegeisterung is the disease, reading is the cure (Richard Ford).

Was würde B. M. Trappen wohl mit folgender Passage anfangen, in der Peter Handke in der aktuellen „Obstdiebin“ (Seite 31 folgende) versucht, sein schwieriges Verhältnis zum eigenen Werk auf den, nun ja, Punkt zu bringen:

In ähnlicher Weise hatte mich ja auch seither abgestoßen jeder meiner Blicke auf das, was gemeinhin „Werk“ hieß, wenigstens auf das sogenannte „meine“. Allein schon Wörter wie „Arbeitszimmer“ oder gar „Werkraum“ waren mir zuwider. In einem jeden Zimmer im Haus, in der Küche, auch draußen im Garten, hatte ich im Laufe der Jahrzehnte das Meine getan. Aber ich vermied selbst den flüchtigsten Blick da hin, wo die Gefahr bestand, es würde nur eine Spur oder, bewahre, das Ergebnis meines Tätiggewesenseins in die Augen springen. Trotzdem kam es vor, daß es mich dann und wann unwillkürlich und gegen mein besseres Wissen hinzog zu dem „Werkstück“ und ich es, kurz!, in Augenschein nahm, in der Hand wog und dergleichen mehr. Zwar war das noch erträglich, verlief ohne Nachwirkungen, und an dem Ding zu schnüffeln konnte mich sogar erheitern. Doch so wie ich mich einmal in das Getane vertiefte und buchstäblich darin versank, verlor es dann, und nicht bloß momentan, seinen Wert und vor allem sein Parfüm. Das Geleistete verduftet, und ich in seinem staubtrockenen Sog geschwächt, schwächer nicht möglich. So war es eine Gewohnheit, um diese früheren Werk-Stätten in Haus und Garten – selbst um die, in den Wäldern am „Namenlosen Weiher“, in der „Neuen Lichtung“, am „Abwesenheitsweg“ – einen Bogen zu machen, oder mich an ihnen, als an Stätten eines möglichen Lasters, vorbeizustehlen. Nur wenn ich diese Räume und Örtlichkeiten leer wußte, ohne Spur und Ergebnis meines einstigen Tuns, war, an ihnen vorbeizugehen, kein Vorbeistehlen mehr. Mit dem Blick hin zu ihnen verlangsamte ich mich im Gegenteil. Zwar wurde ich auch dabei überwältigt von Schwäche. Aber solch ein Schwachwerden erlebte ich nicht als das böse, das entkernende Geschwächtwerden. Es flog mich an als eine Weise der Sehnsucht, und das war von den sämtlichen so unterschiedlichen und einander widerstreitenden Sehnsüchten im Altern die letzte und, das spürte ich, dauerhafte Sehnsucht, die mir geblieben war, und sie war verknüpft, und manchmal auch verknotet mit Angst, Sehnsucht und Beklommenheit.

Hierzu ist abschließend höchstens noch anzumerken, dass wohl leider auch Peter Handke selbst nie wissen wird, wie es sich anfühlt, diese Bleistiftgedanken nicht nur auf Microsoft Word abzutippen, sondern sie dann sogar noch in einen Blog zu stellen (Elektronik! Internet! THE FUCKING 21st CENTURY! … ich stelle mir seine Elektrophobie ungefähr so vor wie bei Chuck McGill in „Better Call Saul“). Sonst hätte Handke vielleicht an eine Erklärung dafür gedacht, wie er denn an jenen Werk-Stätten im Wald rumgewerkelt hat, an denen es sich so verschwurbelt vorbeizustehlen gilt (oder warum da ein Komma zwischen „selbst um die“ und „in den Wäldern“ steht oder ob da überhaupt irgendwas für jemand anderen als den Autor selbst, seinen, abwesenden!, Lektor oder Leser wie B. M. Trappen geschrieben wurde). Und dem Leser vielleicht ein klein wenig unkomplizierter mitgeteilt, was es mit seiner Sehnsucht nach Leere, Altwerden, Schwäche auf sich hat. Aber klar, dieses Schreiben ist eher so ein Angewehtwerden, man kann nur ahnen, niemals wissen. - Innehalten, denken, das ist es jetzt (alter Anti-Burnout-Tipp)!

Nächste Woche wissen wir noch weniger, wenn ich versuchen werde, mich in „Fire And Fury“ reinzufühlen.

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