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Literatur

Ein Blick über die Schwelle der Billigung

Ein Blick über die Schwelle der Billigung

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtMittwoch, 23.03.2016

Es gibt bis jetzt zwei Sammelbände mit kleineren Arbeiten von Nicholson Baker, meist Beiträge für den New Yorker oder andere einschüchternd weltberühmte Magazine. Zuerst ist bei uns "Wie groß sind die Gedanken" erschienen, an das vom Rowohlt-Verlag damals - wie im Supermarkt an Shampooflaschen als Kaufanreiz noch eine kleinere Extraflasche angehängt wird -, "U&I" geklebt worden ist, sein brillanter, idiosynkratischer Essay über seine Verehrung für John Updike (enthält übrigens eine Auden-Bemerkung, die ein Motto für meine piq-Texte sein könnte: "Man sollte über keinen Schriftsteller, ob lebendig oder tot, schlecht reden, außer seinen engsten Freunden gegenüber, und gedruckt schon gar nicht. Sprich einfach nicht über Dinge, die du nicht magst, räum ihnen keinen Platz ein".) Der unvermeidliche Höhepunkt dieser äußerst subtilen Reflexion über die Paradoxien des literarischen Fantums ist eine peinliche Signierstunden-Begegnung mit Updike (welches Buch wählt man zum Signieren aus?), und als Schlußpointe weist Baker nach, daß er durch einen eigenen Text in einer Winzigkeit einen Text von Updike ("Die Hexen von Eastwick") beeinflußt hat (die Schwiele am linken Zeigefingern einer Baker-Cellospielerin taucht bei Updike an einem Cellospielerinnendaumen auf). Er verfährt in diesem beglückenden Text über das Lesen, übrigens nach einer selbst erfundenen Methode des Schreibens über Literatur, dem "Closed-Book-Reading", bei dem nur aus dem Gedächtnis zitiert wird und man erst nach Beendigung des Essays in eckigen Klammern die richtigen Zitate nachliefert, was sehr komische Effekte erzeugt, da sich Baker dauernd auf etwas bei Updike beruft, woran er sich ganz falsch erinnert hat. Ich hatte übrigens auch eine Begegnung mit Baker, die aber nicht einmal eine pittoreske, erzählwürdige Peinlichkeit aufwies. Alles, woran ich mich erinnere ist, daß er jedem vor dem Signieren die Hand schüttelt, und daß ich zu höflich war, einen ganzen Stapel Bücher mitzubringen, wie es andere taten. (Das ist doch auch Schummeln, als würde man sich seine Briefmarkensammlung mit einem Mal zusammenkaufen.) Jedenfalls soll hier nicht die Rede sein von dem merkwürdigen Doppelbuch, das auch noch die beschämende Bemerkung enthält: "Die Originalausgabe von 'U&I' erschien 1991 unter demselben Titel bei Random House, New York, die für die deutsche Fassung um zwei Essays gekürzte von 'Wie groß sind die Gedanken?' unter dem Titel 'The Size of Thoughts' 1996 ebenda." Wer hat denn hier "für die deutsche Fassung" zwei Essays gekürzt? Wären die deutschen Leser zu dumm dafür gewesen? Oder waren sie unübersetzbar? Haben sie Baker selbst nicht mehr gefallen? Jetzt werde ich nie sagen können, daß ich Baker ganz gelesen habe, was ich bisher dachte. 2012 ist "The Way the World Works" erschienen ("So geht's"), und man kann schön studieren, wieviel besser als in "The Size of Thoughts" er noch einmal geworden ist. Das sage ich nur, weil er selbst sich in "U&I" um das Thema herumdrückt, am Idol auch einmal etwas zu bemängeln, denn bedeutende Schriftsteller "existieren oberhalb der Schwelle der Billigung." Ich könnte also nur bemängeln, daß er noch besser geworden ist, was ja eigentlich kein Mangel ist. (Wobei: er mag das Wort "Fumarole" ein bißchen zu sehr, das ich jetzt endlich mal nachschlagen werde.) "So geht's" hat wieder meine Bakerphobie befeuert, die Angst, auf meine eigenen Themen zu stoßen, aber exzentrischer zuendegedacht und dadurch einschüchternd. Z.B. seine Ausführungen über die eigenen Anstreichungen in Büchern, darüber habe ich auch schon einmal geschrieben, so ein Pech, also weg damit, in den Müll. Oder sein Text über die Texte, die er als Flugzeugpassagier durchs Fenster auf den Tragflächen liest. Noch niemand sonst hat das vor ihm notiert, aber ich habe früher immerhin manchmal Wortporträts meiner Umgebung gemacht, indem ich alles Lesbare aufgeschrieben habe, was mich umgab, und das ist oft erstaunlich viel. Er ist ein Sammler des Seltenen (in "The Size of Thoughts" gibt es einen sehr schönen Text über die Seltenheit, die man eigentlich schützen müsse, indem man das Seltene eben nicht aufschreibt und ausplaudert. Seltenheit ist eine bedrohte Erscheinung). Manche Autoren in den mittleren Jahren scheinen ihr inneres Feuer am Brennen zu halten, indem sie sich in politische Fragen hineinsteigern (Handke), bei Baker ist es seine Fehde mit Bibliotheken, denn er rettet Zeitungssammlungen, die nach der (oftmals schlampigen) Digitalisierung vernichtet werden. Oft sind es die letzten existierenden Exemplare. Seine akribisch recherchierten, leidenschaftlich und angriffslustig vorgetragenen Gedanken zu diesem Thema haben ihm viel Ärger eingebracht, denn es geht um Geld, eine ganze Industrie ist hier entstanden. Was er berichtet ist tatsächlich empörend und eigentlich unfaßbar, die Lüge von der begrenzten Haltbarkeit des Papiers, die Lüge, daß die Papierherstellung Wald gefährdet (das Gegenteil sei der Fall, mit in den USA sterbenden Papiermühlen lohne sich auch für die Waldbesitzer die nachhaltige Bewirtschaftung nicht mehr, und sie verkauften Flächen an Grundstücksbauer. Abgesehen vom Stromvebrauch der Serverfarmen.) Er berichtet davon, wie die Bibliothek von San Franzisko beim Umzug in ein neues Gebäude aus Platzgründen hunderttausende Bücher weggeworfen hat, als Kriterium diente es, daß sie lange nicht ausgeliehen worden sind. (Was sie für Wissenschaftler doch gerade interessant macht.) (Ich finde auf den Wühltischen der Antiquariate auch oft alte DDR-Bücher mit Stempeln aus Betriebs-, Krankenhaus- und Kinderbibliotheken, die ebenfalls aussortiert wurden, das Kriterium war da wohl einfach, daß sie noch aus der DDR stammten.) Die Investitionen in IT sind so teuer, daß an anderer Stelle gespart werden muß, nämlich bei der Aufbewahrung von Büchern, die, wie Baker vorrechnet, ungleich preiswerter und auch viel sicherer sind. Die IT-Branche schafft sich ihre eigenen Jobs und macht sich unentbehrlich. Am Ende werden bei Wörterbuchprojekten nicht mehr Philologen eingestellt, sondern Informatiker (stimmt wirklich). Ein anderes großes Thema für Baker ist die Vernichtung der Zettelkataloge. Als ich vor einer Weile nach Jahren einmal wieder in der Berliner Stadtbibliothek war, vermißte ich die Kataloge aus meiner Jugendzeit, eine ganze Welt von Reizen war verschwunden. Mir war gar nicht klar gewesen, daß das in den 90ern ein flächendeckendes Phänomen gewesen ist. In solchen Texten widmet sich Baker, der immer dafür ist, dem Bösen keinen Platz einzuräumen, um es nicht zu verbreiten, den unerfreulichen Seiten unserer Zeit. Er wird sogar direkt politisch, z.B. in seiner Begründung dafür, warum er radikaler Pazifist geworden ist. Oder er berichtet von einem Winter, den er mit dem Testen von Kriegsspielen verbracht hat. (Assassin's Creed II: "Am meisten Freude machte es mir, von einem Gebäude auf einen Heuhaufen hinabzuspringen.") Aber eigentlich lese ich ihn für die erfreulichen Dinge, über die andere nicht schreiben. Sein Lob der frühen Wikipedia, seine Rettungsaktionen für wegen Unrelevanz bedrohte Einträge, seine Beschreibung der Nachteile des Kindle 2 (es verdirbt die Freude an Zeitungen und macht aus ihnen "entbehrliche Blogs".) Und ich sammle Gemeinsamkeiten: Er ist auch ein Tim-und-Struppi-Leser. Als Kind hat er auch mit dem Telefon gespielt und sogar herausgefunden, wie man sich selbst anrufen konnte. Er schreibt mit Ohrstöpseln. Er liebt die meditative Freude des Rausschreibens von Zitaten aus Büchern (er allerdings mit der Hand). Er verbringt einen Nachmittag auf der städtischen Müllkippe und beobachtet das Wegwerfen (gerade wurden viele Lexika deponiert). (Ich habe für "Schmidt liest Proust" mal meinen Mülleimerinhalt protokolliert.) "So geht's" ist ein großartiges Buch. Man sollte es lesen - und wenn es nur für "Eines Sommers" ist, eine Salve von hochidiosynkratisch wahrgenommenen, präzise beschriebenen Sommererinnerungspartikeln: "Eines Sommers regte sich ein Mann ein paar Häuser weiter darüber auf, daß manche Leute ihre Hunde jeden Tag vor seinem Garten kacken ließen. Er nahm weiße Plastikgabeln und steckte sie in die Hundewürste. Da sahen sie aus wie kleine Segelboote."

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