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Literatur

Dunkeldeutschland – Teil 1

Dunkeldeutschland – Teil 1

Thomas Feix
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Thomas FeixMontag, 14.05.2018

Dunkeldeutschland

Ein altes Ehepaar, eine Siedlung und ein ehemaliges Gutshaus tief in der südmecklenburgischen Provinz. Warum Kurt und Maria Hoffmann die Deutsche Demokratische Republik nicht vergessen können und nicht vergessen wollen.

Teil 1

Dort, wo Kurt und Marias silbergrauer Renault in der Garage steht, inmitten eines Kiefernwaldes, nicht weit entfernt von Fürstenberg, ist Carolinenhof, die Siedlung. Sechs Häuser, Gärten, Kleinviehställe. Früher, vor dem Krieg, ist Carolinenhof ein Gut gewesen. Nach dem Krieg baute sich eine Division Russen ihre Kaserne am Rand der Schonung hin.

Kurt und Maria, Flüchtlinge aus Schlesien, übernahmen Mitte der Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts das Herrenhaus, und aus dem Schafstall wurden Wohnungen für die sozialistischen Landarbeiter der LPG Dabelow, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, jetzt das Haus von Werner, Kurt und Marias Nachbar. Er steht am Zaun und grüßt.

1958 war Werner in den Westen gegangen, weil er keine Wohnung bekam. Hundertzwanzig Arbeitsstunden hatte er bei der AWG abgeleistet, der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft der DDR, achtzig hätte er noch vor sich gehabt, für eine Wohnung mit zwei Zimmern in Neubrandenburg. Er wollte nicht mehr. Er packte den Koffer, sagte seiner Frau, dass er sie nachholt, und fuhr nach Westberlin. Im Flüchtlingslager Marienfelde wurde er dem Essener Kontingent zugeteilt.

Als die Russen 1994 gingen, kam Werner wieder, im neuen VW-Passat. Dieselben Leute waren da, sie waren alle älter geworden, sie kannten einander noch, Werner und die Leute, aber jetzt waren sie misstrauisch gegen ihn, des Essener Kennzeichens wegen und weil der Wagen blitzte wie ein Frühsommermorgen, er hat es deutlich gespürt. Den umgebauten Schafstall kaufte er dennoch, die LPG, die Landarbeiter waren weg.

Werner fühlt sich zu Hause in Carolinenhof. Ein kleiner, zäher Alter mit verschmitzter Miene, die Fäuste in den Kitteltaschen. Er redet gern. Jetzt sagt er, dass der Kurt schwerhörig ist und die Maria gut drauf, obwohl sie nun schon siebzig ist. Sie fährt den Renault deshalb, sagt er weiter, weil der Kurt auch nicht mehr richtig gucken kann. An der Stelle unterbricht sich Werner, er sieht Maria, er sagt auf Wiedersehen und geht den Sandweg zurück in sein Haus. Er ist nun auch schon neunundsechzig.

Maria kommt ans Gartentor. Kurzgeschnittenes graues Haar, Seitenscheitel, Längsfurchen im Gesicht. Schnell kommt sie vom Haus her, mit straffen, kurzen Schritten, zierlich, die Augen wach, sie macht das Tor weit auf. »Schönen guten Tag.«

Kurt ist da, ihr Mann seit fünfzig Jahren, groß, massig, alles Fett, früher einmal muss er gertenschlank gewesen sein. Er sieht hinunter auf das Beet, in dem er steht, eine der Tulpenpflanzen liegt breitgetreten unter ihm, und Kurt fragt sich, weshalb. »Angenehm«, sagt er, »DDR«, und gibt die Hand. Dann schiebt er sich die Brille den Nasenrücken hoch, seine Lieblingsgeste, sie steht ihm.

Maria geht voran, sie geht die Treppe hinauf in den Flur und von da aus in die Küche, sie bittet Platz zu nehmen, sie zeigt mit schöner Gebärde auf die Polsterbank am Fenster. Kurt sitzt schon auf dem Stuhl, auf dem er immer sitzt, er packt den Kuchen aus, Käsekuchen, es ist nachmittags um vier, Kaffeezeit, ein großes Paket aus dem Tiefkühlfach, seit dem Morgen aufgetaut.

Kurt schneidet den Kuchen, dann hievt er sich ein Stück auf den Teller, der vor ihm steht. Maria stellt den Kaffee hin, für jeden einen großen Pott, türkisch gebrüht, so mag sie ihn, Kurt auch. Sie setzt sich mit auf die Bank, verteilt die Stücken Kuchen, die Kurt geschnitten hat. »Später«, sagt sie, »zum Abendbrot, mache ich uns was Ordentliches, Kasslerbraten mit Salzkartoffeln und Gemüse.«

Die ersten Kuchenkrümel kleben an Kurts hellgrauem Pullunder, dick, fettig, süß. Maria tadelt mit Blicken, die Krümel machen Flecken, die nachher nicht mehr rausgehen. Kurt schiebt den Bauch unter den Tisch, senkt den Kopf und kratzt mit dem Daumennagel am Pullunder herum.

»Wenn Sie mal nicht von der Stasi sind«, sagt Kurt von unten herauf. »Die kamen auch immer so an und saßen dann so da, so brav, und fragten.« Ein Scherz, natürlich, er lenkt von der Krümelei ab, und Kurt freut sich darüber.

»Mensch, Opa.« Maria schlägt über den Kuchenteller hinweg mit der Hand nach ihm. Zu spät. Ein weiteres Stichwort ist gefallen. Nicht um Kurt und Maria wird es gehen und wie sie ihren Lebensabend verbringen, tief in der südmecklenburgischen Provinz. Die Zeiten sind nicht so. Um Politik wird es gehen, um die Deutsche Demokratische Republik und um das, was von ihr übriggeblieben ist.

»Nein«, sagt Kurt jetzt. »Den Honi wollen wir nicht wieder. Der Honecker ist tot, wie der Kaiser, der Führer, alle tot, und alle haben sie uns beschissen. Heute bescheißen uns die da oben wieder. Aber warum gucken die nicht wenigstens einmal nach hier drüben? Nach dem, wie es bei uns gewesen ist? Die Schulbildung, die Kindergärten, die Polikliniken, die Arbeitspolitik?«

Still ist es im Haus, keine Uhr tickt, keine Tür schlägt. Draußen leuchtet die Sonne in jeden Winkel, es ist wie ein Aufstöbern, wie ein Erwachen. Frühling. Durch die große getönte Glasscheibe der Küchentür ist etwas vom Wohnzimmer gegenüber zu sehen. Ein Teppich, ein Buffet, eine beige Couch.

»Ach, Opa«, sagt Maria. »Hör doch auf damit.« Sie steht auf, stellt sich an den Herd hinter Kurt. »Die DDR wird bald vergessen sein. Dann, wenn unsere Generation mal nicht mehr sein wird.« Keine Regung, wie sie das findet. Sie scheint es eben festgestellt zu haben.

»Nein, Oma. Vor dem Nichts haben wir nach dem Krieg gestanden, das kann man nicht einfach so vergessen.« Kurt will sich zu Maria umdrehen, aber der Bauch ist unterm Tisch, Kurt scharrt mit dem Stuhl. »Alles kaputt, niemand hat uns geholfen. Im Gegenteil. Getriezt haben sie uns, die da oben, wir mussten alles allein machen, und das schnell. Jetzt wieder. Alles kaputt, niemand hilft uns, nur Getrieze. Als hätten wir den Dritten Weltkrieg verloren. Die Menschen sich selbst überlassen, ausgebrannt das Land.«

Es geht ihnen gut, sie könnten zufrieden sein, wenn sie zufrieden sein wollten. Zwei Autos in der Garage, neben dem Renault ein Suzuki, der Renault »für gut«, wie Maria sagt, der Suzuki für den Alltag. Kurt hat seine Rente aus über vierzig Jahren Arbeitsleben, und den Renault hat er sich gerade erst von der Auszahlung der Lebensversicherung gekauft. Maria arbeitet noch, sie will es so. Im Januar ist ihre »Eignungsbescheinigung zum Führen von öffentlichen Personenbeförderungsmitteln« um vier Jahre verlängert worden. Maria ist gut. Sie braucht keine Brille beim Fahren.

Reisebus für Braasch-Reisen in Neustrelitz fährt sie. Das Frühjahr und den Sommer hindurch, zehn Tage lang am Stück oder mehr ist sie dann jedes Mal fort.

Der Sohn war ewig nicht da, fällt ihr bei der Gelegenheit ein. Klaus-Dieter, irgendwo in Schweden ist er, hat dort Arbeit gefunden, hier nicht, sieben Jahre lang war er nicht mehr zu Hause. »Wie verschollen ist er.« Er meldet sich nicht mehr, Marias Stimme ist sanft und leise.

Kurt poltert los, er will nicht zeigen, wie nahe ihm Klaus-Dieter geht und dass er nicht mehr kommt, die Brille rutscht ihm den Nasenrücken hinunter. »Da, der neben Werner wohnt, der Schrödl Dieter, der ist bei einer Installationsfirma in Kiel. Und sein Sohn, der Stefan, arbeitet im Gefängnis in Hamburg-Fuhlsbüttel. Hin und zurück, Tag für Tag.«

Hier geht es zum zweiten Teil

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