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Literatur

Die Welt durch Schönheit retten: Der Deutsche Werkbund

Die Welt durch Schönheit retten: Der Deutsche Werkbund

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtFreitag, 21.04.2017

Im Jahr 1907 gründeten Künstler, Kunsthandwerker, Architekten, Journalisten, Professoren, Politiker und Industrielle (wie der spendenfreudige Robert Bosch, oder auch Karl Schmidt-Hellerau, Gründer der Deutschen Werkstätten Hellerau, der für seine Arbeiter die Gartenstadt Dresden-Hellerau bauen ließ) den deutschen Werkbund, um einem Verfall der Produktkultur entgegenzuwirken, die die als übereilt empfundene Industrialisierung Deutschlands mit sich gebracht hatte. Große Fragen verlangten nach Antworten: Wie kann man auch in der Industriegesellschaft Freude an seiner Arbeit empfinden? Wie kann man in einer Demokratie die „hohe Kultur" mit der „volkstümlichen" verbinden? Wie ist die Rolle des Handwerks im Zeitalter der Maschine zu bestimmen? Kurz gesagt: Muss man die Welt nicht durch Schönheit retten? Aber was ist Schönheit überhaupt? Darauf gab es natürlich so wenig wie heute eine Antwort. Trotzdem waren die Begriffe Qualität und Schönheit zentral, aber beides war nicht durch eine Rückbesinnung auf das Handwerk anzustreben, wie es die von William Morris geprägte Arts&Crafts-Bewegung in England versucht hatte. Nein. Die Industrialisierung, das hatte man erkannt, war nicht mehr aufzuhalten. Man musste Wege finden, Industrieprodukte gemeinsam mit den Industriellen besser und schöner herzustellen und parallel dazu die Kunden zu schulen, damit sie bewusster kauften. Industrie-Designer gab es damals noch nicht (als ersten könnte man Peter Behrens bezeichnen, der seit 1907 als Chefgestalter für die AEG arbeitete und dem meine Waschmaschine immer noch ihren AEG-Schriftzug verdankt), man stritt sich endlos, ob es nicht unangemessen war, so etwas Profanes wie einen Fön überhaupt unter ästhetischen Gesichtspunkten zu beurteilen, und ob man die Gestaltung von Produkten lehren und lernen könne, wo doch eigentlich Künstler dafür zuständig sein sollten. Die Handwerker hatten aber gar keine Lust, sich von Künstlern reinreden zu lassen. Deutsche Produkte genossen im Ausland vor dem 1. Weltkrieg nicht den besten Ruf, der Stempel „Made in Germany" stand in England nicht für Qualität, sondern war als Warnung an den Verbraucher gedacht. (Der polemikfreudige Adolf Loos war übrigens ganz gegen die Vorstellung von „angewandter Kunst", für ihn ein Widerspruch in sich. Auch Qualität lehnte er ab, mangelhaft verfertigte, unschöne Dinge hätten wenigstens den Vorzug, sich rasch zu verbrauchen.)

Es scheint heute wundervoll romantisch, worüber diese qualifizierten Männer (es gab natürlich anfangs kaum Frauen im Werkbund) diskutierten, welche hohen gesellschaftlichen Ziele man hatte, und dass man dabei noch auf Vernunft und Einsicht setzte. Mit Zeitschriften, Vorträgen, Ausstellungen wollte man auf die Öffentlichkeit einwirken. 1907 sagte Fritz Schumacher (der spätere Oberbaudirektor von Hamburg, 1933 von den Nazis entlassen) in der einführenden Ansprache „Die Wiedereroberung harmonischer Kultur" der Werkbund-Gründungsversammlung in München: „Nicht etwa nur für den feinfühligen Menschen, den äußere Disharmonien schmerzen, wird gearbeitet; nein, die Wirkung geht weit über den Kreis der Genießenden hinaus. Sie erstreckt sich zunächst vor allem auf den Kreis der Schaffenden, auf den Arbeitenden selber, der das Werk hervorbringt. Spielt in sein Tun wieder der Hauch der Kunst herein, so steigert sich sein Daseinsgefühl, und mit dem Daseinsgefühl auch seine Leistungskraft". Man argumentierte also durchaus wirtschaftlich. Am Ende sollten alle davon profitieren, die „Schaffenden" durch eine beglückendere Tätigkeit an schöneren Produkten und die Industriellen durch Verkaufs- und insbesondere Exporterfolge. Der Architekt Hermann Muthesius, der als einer der ersten in Deutschland die englische Gartenstadtbewegung rezipiert hatte, und einer der Gründer des Werkbunds war, sagte 1907 in seiner Antrittsvorlesung an der Berliner Handelshochschule, dass die Fabrikanten durch die Herstellung billiger Nachahmungen und geschmackloser Modeware „das Reich des Geschauten verschmutzten". Wie würde er sich wohl heute beim Besuch eines Nanu-Nana-Geschäfts oder bei der Suche nach einer Glückwunschkarte in einer Postfiliale fühlen? Man müsse die Fabrikanten aufklären, dann würden sie sich anders besinnen. Dummerweise kauften die Menschen den billigen Schrott, weil sie es nicht besser wussten, oder weil sie sich die Luxusprodukte nicht leisten konnten. 1912 schreibt Muthesius, dass der deutsche Bürger erst lernen müsse, dass guter Geschmack als Merkmal höherer Sittlichkeit ebenso unerlässlich sei wie Reinlichkeit. (Außerdem neigten gerade Intellektuelle zu „fanatischer Sparsamkeit", weil sie materiellen Besitz verachteten und sich mit geschmackloser Ware begnügten, wenn sie billig sei.) Ein Mittel, den Geschmack der Massen zu verbessern, sollte die Reformierung des Kunsterziehungsunterrichts sein, die allerdings schon früher eingesetzt hatte. (Und müsste Geschmacksbildung, Konsumkompetenz, Nachhaltigkeitskunde, Materialkenntnis, Analyse von Werbebotschaften nicht auch heute eines der wichtigsten Fächer in der Schule sein?) Friedrich Naumann, liberaler Politiker und ein anderer Werkbundpionier, war sogar der Meinung, in einem Betrieb, der Qualitätsware erzeuge, würden die Arbeiter auf ihr Werk stolz und schon deshalb produktiver sein. Sie würden dann auch den marxistischen Lehren abschwören, die damals gerade en vogue waren. (Ein anderer Werkbund-Pionier war übrigens der Journalist Theodor Heuss, später erster Präsident der BRD.) Überhaupt würde Deutschland durch Qualität Gegner in Bewunderer umwandeln und dadurch dem Weltfrieden dienen. Paul Renner war 1921 der Meinung, der Marxismus habe sich überlebt, der Künstler sollte den Arbeiter überreden, lieber für ein sinnvolles Arbeitserlebnis als für mehr materiellen Wohlstand und Freizeit zu kämpfen. Was für eine bezaubernde Vorstellung! Die Menschen lassen den Arbeitskampf sein, weil es sie schon befriedigt, in schönem Ambiente etwas Schönes herzustellen.

Eine große Werkbund-Ausstellung in Köln sollte 1914 eine Leistungsschau der deutschen Industrie sein, auf der z.B. Bruno Taut sein vom verschrobenen Glasmanifest (Lieblingssatz: „Es ist geradezu haarsträubend, daß der Staubsauger noch nicht zur Insektenvertilgung gebraucht wird.") des Phantastik-Autors Paul Scheerbart inspiriertes Glashaus zeigte. Es gab in dieser Zeit große Richtungskämpfe im Werkbund z.B. zwischen Henry van de Velde und Muthesius, es ging um die Frage der Typisierung, also, ob es richtig sei, auf diese Art die Kosten zu senken und Produkte für die Massen bezahlbar zu machen, oder ob das Verrat an der Ästhetik sei. Man fragte sich auch, ob ein Stil, der der modernen Industriegesellschaft angemessen ist, nicht international sein muss und keineswegs „deutsch". (Erstaunlicherweise waren die Einflüsse rassisch-völkischer Strömungen im Werkbund immer verschwindend gering.) Aber die Kölner Ausstellung war im Juni kaum eröffnet und ein Publikumserfolg, da verwandelten sich die Hallen, die die besten Erzeugnisse deutscher Kunst und deutschen Kunstgewerbes beherbergt hatten im August 1914 in eine Stätte zum Empfang verwundeter Soldaten. Darüber bitte mal einen Roman! Das Werkbund-Jahrbuch von 1916/17 war dann dem Thema Kriegsgräber und -denkmäler gewidmet. (Selige Zeiten, als man Grabgestaltung noch Fachleuten überließ. Heute sind Dorffriedhöfe Orte des Grauens, weil den Verstorbenen rosafarbene, mit Röschen und Herzchen verzierte Grabsteine spendiert werden, auf denen ihre Namen mit goldenen Schnörkelbuchstaben stehen. Nur eine der Sphären, in denen sich die Alltagsästhetik heute demokratisiert hat.)

Nach dem Krieg ging es weiter mit Ausstellungen, die Zeitschrift „Die Form" hatte hohe Auflagen, die Vertreter des Neue Bauens gewannen im Werkbund die Oberhand, 1927 wurde die Stuttgarter Weißenhofsiedlung gebaut, eine Werkbundsiedlung mit Gebäuden von Le Corbusier bis Oud, es gab den Kampf gegen das Ornament, Steinmetze und Forstarbeiter sahen in Stahl, Beton und Glas eine Gefahr für ihren Lebensunterhalt, Dekorationskünstler fürchteten arbeitslos zu werden. Alles, was Rang und Namen hatte, war im Werkbund, die Architekten Hans Poelzig, Walter Gropius, Mies van der Rohe, Heinrich Tessenow, Hans Scharoun, Otto Bartning, Ernst May, Bruno und Max Taut (auch konservativere, wie Paul Bonatz, der Architekt des Stuttgarter Hauptbahnhofs), der Verleger Eugen Diederichs, der Glasgestalter Wilhelm Wagenfeld, der Berliner Stadtbaumeister Martin Wagner (1933 von den Nazis „beurlaubt") und viele mehr. Der Werkbund war in der Weimarer Republik gut vernetzt und genoss, anders als unter dem Kaiser mit seiner Neigung zum kitschigen Pomp, Unterstützung durch die Politik. Nachdem die Inflation überstanden war, kam es deutschlandweit zu großen, von der SPD und den Gewerkschaften initiierten genossenschaftlichen Siedlungsbauprogrammen, in Frankfurt am Main, Karlsruhe, Magdeburg, Berlin, etc. Um 1930 kam die Bauwirtschaft durch die Weltwirtschaftskrise allerdings zum Erliegen und 1933 fanden alle Träume von anspruchsvoller Ästhetik für die Massen ein schnelles Ende, als auch der Werkbund gleichgeschaltet wurde und sich diesem Vorgang, in der Hoffnung, sich mit den neuen Machthabern arrangieren zu können, ziemlich wehrlos ergab. Schon lange war von dieser Seite gegen vieles, wofür der Werkbund vermeintlich stand, polemisiert worden, die Dächer wurden jetzt wieder spitz statt flach, die Materialien traditioneller, das Bauhaus in Berlin geschlossen, viele großartige Architekten und Gestalter mussten das Land verlassen oder bekamen keine Aufträge mehr. Nach dem Krieg ging es unter anderen Vorzeichen weiter, auf der einen Seite regierten die Funktionäre, auf der anderen der Markt, aber den Werkbund gibt es immer noch. (Heute wirken sie skurril: die Werkbund-Kisten, mit denen in der Bundesrepublik an Schulen für gute Gestaltung geworben werden sollte.) Die frühe Geschichte des Werkbunds, eines idealistischen Projekts, das große Erfolge hatte, wird in Joan Campbells Buch von 1978, das 1981 auf Deutsch erschienen ist (und so vorzüglich übersetzt wurde, dass man meint, einen Originaltext zu lesen), anhand von Archivmaterial und Dokumenten mitreißend beschrieben.

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