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Literatur

Die Kunst ist ein Schrank

Die Kunst ist ein Schrank

Jan Kuhlbrodt
Autor und Philosoph

*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)

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Jan KuhlbrodtSamstag, 27.05.2017

Die Kunst ist ein Schrank, ein Schrank der vor allem Kunst enthält, also gewissermaßen ein sich selbstbergender Schrank. Aber da die Kunst in einer historischen Zeit entsteht, über die sie hinauszuweisen geneigt ist, enthält dieser Schrank auch Geschichte.

„17.November, Dienstag

Das was ich bisher geschrieben habe, hat ein Mensch geschrieben. Wenn Gott mein Leben verlängern sollte, werde ich mehr schreiben. Und das, was ich dann schreiben werde, wird ein anderer Mensch geschrieben haben.“ [1931]

Als ich kürzlich las, dass die Friedenauer Presse auch nach dem Ausscheiden von Katja Wolff aus dem Verlag weitergeführt werden würde, verspürte ich eine tiefe Erleichterung. Und Dankbarkeit, denn was wäre der Verlag ohne Katja Wolff!

Für mich wird er aber auch immer verbunden sein mit dem Namen Peter Urban und seinen Übersetzungen aus dem Russischen. Vor allem seine Übertragungen von Texten der Autoren der Leningrader Gruppe OBERIU haben mein Leseleben entscheidend beeinflusst. Das ist vielleicht nicht übertrieben gesagt, aber ohne diese Lektüren wäre ich ein anderer Leser und wahrscheinlich sogar ein anderer Mensch.

Als diese Texte im Zuge der Perestroika in der Sowjetunion nach und nach geborgen und veröffentlicht wurden, und im Anschluss zum Teil auch ins Deutsche übersetzt, wandelte sich nicht nur mein Russlandbild und der Blick auf die frühe sowjetischen Literatur grundlegend. Was wir vielleicht schon geahnt haben, wurde zur bitteren Gewissheit, der Stalinismus und Poststalinismus hatte die besten Produktionen verdeckt und verschwinden lassen. Nach und nach wurden sie wieder freigelegt, zumindest das, was davon überdauert hatte.

Und vielleicht das für mich wichtigste Buch in diesem Kontext ist das 1992 in der Friedenauer Presse erschienene „Die Kunst ist ein Schrank“. Es handelt sich hier um eine von Peter Urban besorgte und übersetzte Auswahl von Texten aus den Notizbüchern von Daniil Charms.

Diese Notizbücher haben es in sich, sie enthalten Gedichtentwürfe, Prosaskizzen, kleine Erzählungen, philosophische und mathematische Überlegungen, Listen, literaturgeschichtliche Reflexionen und dergleichen mehr.

„Mich interessieren die guten alten Frauen aus gutem Hause.

Die Mondphasen.

Der Wetterbericht.

Bericht der Ereignisse.

Die Kaballa.

Pythagoras.“

Es ist ein Kaleidoskop. Je nachdem in welcher Haltung man an die Lektüre geht, gestaltet sich ein Zeit- und Kunstbild, das man dann noch zu der von Urban angefertigten umfangreichen Chronik „Daten zu Leben und Werk von Daniil Charms“ in Beziehung setzen kann. Der Titel dieser Chronik ist ein Understatement. Im Grunde bietet sie einen literaturgeschichtlichen und kulturpolitischen Abriss der Leningrader Szene und der frühen Sowjetunion.

Und diese Leningrader Literatenszene hatte es in sich. Gruppen wie OBERIU eben, die oft als sowjetische Spielform der Absurden Literatur begriffen wurde, was meiner Meinung nach aber wesentlich zu kurz greift, oder die schon früher entstandenen Serapionsbrüder von Petrograd, die sich in einer Anspielung auf ETA Hoffmann so nannten.

Diese Chronik diente und dient mir als eine Art Nachschlagewerk. Da in den letzten dreißig Jahren immer wieder großartige sowjetische Literaten dem Vergessen entrissen werden und zuweilen auch ins Deutsche übersetzt, suche ich zunächst im Register dieses Buches nach ihren Namen und kann mir fast sicher sein, dass sie an dieser oder jener Stelle des Buches erwähnt sind. Entweder im Tagebuch, oder eben in der Chronik. Und es gab, nicht zuletzt dank Peter Urbans unermüdlicher übersetzerischer Tätigkeit einiges zu entdecken. Zuletzt berichtete ich auf dieser Seite über die ebenfalls in der Friedenauer Presse erschienenen Erzählungen Dobycins. Zu ihm findet sich u.a. folgender Eintrag:

„20. März 1936: Versammlung des Schriftstellerverbandes Leningrad. Zur Debatte steht Dobycins Roman Die Stadt N.. Der Autor soll zu seiner Verteidigung 'einige schwer verständliche Worte über den Kummer' gesagt haben, 'mit dem er vernehme, dass man dieses Buch als ideologisch feindselig einschätzte.' Als dieser Bericht am 27. März in der Literatur, naja, Gazeta erscheint, ist Dobycin vielleicht schon nicht mehr am Leben.“

Und was der stalinistischen Verfolgung entging, wurde ein paar Jahre später durch deutsche Truppen mit Vernichtung bedroht.

Die Dramatik, die sich im Verhältnis von Charms Texten und der Chronik entspinnt zeigt sich vielleicht am deutlichsten in dieser Zusammenstellung:

„Vergleicht man den Staat mit dem menschlichen Körper, so möchte ich, im Falle eines Krieges, in der Ferse leben.“ Daniil Charams am 5. Juli 1937

In der Chronik zitiert Urban das Tagebuch des deutschen Genaraloberst Halder vom 8. Juli 1941:

"Feststehender Entschluss des Führers ist es, Moskau und Leningrad dem Erdboden gleich zu machen, um zu verhindern, daß Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müßten."

Charms starb am 2. Februar 1942 im belagerten Leningrad.

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