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Literatur

Die Großmeisterin des experimentellen Gefühlslebens

Die Großmeisterin des experimentellen Gefühlslebens

Annika Reich
Autorin
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Annika ReichMontag, 23.01.2017

Die Frau, die in Heike-Melba Fendels Roman „Zehn Tage im Februar“ von ihrem Leben und den Filmen ihres Lebens erzählt, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie hat sich tief in mir eingenistet, obwohl sie alles daran setzt, flüchtig zu bleiben.

Ich weiß gar nicht, ob sie mir ein Rätsel ist; und ob sie sich selbst ein Rätsel ist, weiß ich auch nicht, aber bis zum Schluss wissen anscheinend weder sie noch ich, wie sie reagieren, was sie gut und schlecht finden und wie das Ganze ausgehen wird. Eine solche Erzählerin ist mir lange nicht begegnet. 

Und auch wenn ich sie nicht verstehe, verstehe ich jetzt sehr viel mehr über rasende Frauen, von denen ich einige in meinem engsten Freundeskreis habe. Frauen, die ihr Leben immer wieder und wider besseren Wissens (würden sie sagen) für etwas, das es nicht wert ist (würden sie sagen), über den Haufen schmeißen, die ihrer Selbstachtung ständig eine auf die Zwölf geben und ihr Tun dabei haargenau analysieren können. Frauen, die gleichermaßen ihre Gnadenlosigkeit sich selbst gegenüber, ihr Recht auf Harakiri und durchweinte Nächte feiern oder wahlweise albern finden. Frauen, die ehrlich sein können, wenn sie wollen, stark sein können, wenn sie wollen, reflektieren können, wenn sie wollen, und das alles trotzdem andauernd über Bord werfen, um sich aufs Spiel zu setzen und die eigenen Abgründe auszuloten. Ich mag solche Frauen. Auch wenn sie nicht nur rasend sind, sondern auch rasend machen können.

Die Ich-Erzählerin ist eine Großmeisterin des experimentellen Gefühlslebens. Um die eigenen Gefühle dem Experiment zu unterwerfen bzw. sie als Material für unvorhersehbare Reaktionen zu begreifen, muss sie zweierlei meistern: Sie muss extrem scharf und extrem unscharf sehen. Sie muss zwischen den beiden Weltsichten so schnell hin und her schalten, dass sich auch Gleichzeitigkeiten aus Klarsicht und Blindflug leben lassen. Sie muss gleichzeitig den eigenen blinden Fleck wie das eigene Brennglas verkörpern und egal, was sie erkennt bzw. verkennt, sich selbst keine Zeit geben, daraus Schlüsse zu ziehen. Das Experiment als Festung, die gestürmt werden will.

Für die Ich-Erzählerin ist das Leben ein Experiment, in das ständig neue Variablen eingeführt werden. Nur diesen Variablen traut sie. Ihnen und ihrer Unvorhersehbarkeit zu trauen, lautet die Anordnung, die sie immer wieder gegen Gewohntes, Bekanntes, Vertrautes ausspielt. Die Aufrechterhaltung des Gefühlslebens als Experiment legitimiert alles – jede Trennung, jede Träne, jede Härte, jede Schwäche, jede Raserei. Mit dem Experiment als Versuchsanordnung zu experimentieren, kommt der Ich-Erzählerin nur so lange in den Sinn, bis es wieder in das Vertraute des Unvorhersehbaren kippt. Da ist es wieder: Brennglas und blinder Fleck.

Natürlich weiß sie auch um diese Widersprüchlichkeit: „Männer interessierten mich nur routinehalber. Sie drangen nicht durch. Einzeln schon gar nicht. Auch Begehren schied als mildernder Umstand für meine Experimente aus.“ Und an anderer Stelle: „Ich bin randvoll mit Wahrheit. ... Jeder Gedanke, jede Erinnerung, jede Prognose, jede Lösung eine neue Wahrheit, die sich nach dem Durchspielen selbst zerstört.“

So wird jede Retrospektive zur Projektion. Jeder Film zum Leben. Das bringt hellsichtige, aber auch überlichtete Einsichten mit sich.

In Heike-Melba Fendels neuem Roman stehen auf jeder zweiten Seite Sätze, die ich nie wieder vergessen werde, und ich vergesse eigentlich schnell: „Ich war ganz und gar nicht festgelegt, sondern reagierte auf Angebote. Wählerisch zu sein kam für mich dem Vorurteil sehr nah.“ Oder: „Aus seinen Gefühlen habe ich ihm einen Strick gedreht, an dem ich ihn mit der ganzen Schwere meiner Zweifel nach unten ziehe.“ Oder: „Wer leidet, strebt nicht nach Glück, sondern nach Symmetrie - links schlimm, rechts auch.“ Oder: „Die großen Sachen legt man sich zurecht. Mal vergrößern wir Vorhandenes – Mann, Karriere, Eigenheim -, bis es die Dimension unserer Glücksvermutung erreicht, mal die Abwesenheit eben dieser Dinge, bis die als Ursache unseres Unglücks herhalten kann.“ Fendel wirft diese Einsichten ein, als ob es nichts wäre, und man ahnt, dass sie randvoll mit diesen Einsichten ist und dass sie diese Einsichten nicht besonders ernst nimmt.

In „Zehn Tage im Februar“ geht es aber nicht nur experimentelles Gefühlsleben, sondern auch um Filme. Der Zugang ähnelt sich: Die Ich-Erzählerin geht ins Kino wie sie Männer trifft: Was Neues kommt immer. Schauen wir mal, wie ich darauf reagiere. Dabei kommen Filmanalysen raus, die mir so viel sagen, dass ich Filme ab jetzt anders sehen werde. Ich werde mir alle Filme von Jane Campion noch einmal anschauen, ich werde über Sue anders denken und über Tim Robbins und ich werde definitiv anders Fahrradfahren. Aber das ist noch einmal eine andere Geschichte. 


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