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Literatur

Der eingefangene Satz oder Paradoxer Trostzu den Essays von Olga Martynova.

Der eingefangene Satz oder Paradoxer Trostzu den Essays von Olga Martynova.

Jan Kuhlbrodt
Autor und Philosoph

*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)

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Jan KuhlbrodtFreitag, 06.04.2018

Es gibt Sätze, die schweben in der Luft (oder im Diskurs, oder im Äther, je nachdem von welcher Position man sich ihnen nähert). Man könnte fast meinen, es reichte ein Köcher, um sie einzufangen, und doch braucht es einen oder eine, der oder die diesen Köcher führt.

„Aber Philosophie und Essayistik sind fraktal, die großen Konstruktionen bestehen aus sich immer wiederholenden Elementen.“

Dieser Satz brachte mich unmittelbar zum Nicken, vielleicht sogar noch bevor ich ihn erfasste, er war mir vertraut, möglicherweise habe ich ihn selbst schon einmal gedacht, ohne es zu bemerken. Wenn ich es bemerkt hätte, hätte ich ihn aufgeschrieben. Jetzt hat es Olga Martynova getan, und ich freue mich sehr darüber und bin ihr dankbar.

Der S. Fischer Verlag legt unter dem Titel „Die Dummheit der Stunde“ eine Sammlung mit Essays der Dichterin vor, und dieses Buch enthält einige solcher Sätze, auch wenn der thematische Bogen weit gespannt ist. Es reicht von der russischen Literatur über die sprachliche Verfasstheit der gegenwärtigen politischen Situation und Fragen der nationalen Identität, der kulturellen Herkunft und ihren Verwerfungen bis hin zu einem Bericht über eine Fahrt auf die Krim.

Zentral in diesem Buch ist ein Essay, der auf Seite 79 beginnt, und der „Probleme der Essayistik“ heißt, und sich gewissermaßen an Benns berühmten Vortrag anlehnt. Diesem Essay ist auch das einleitende Zitat entnommen und folgendes:

„Wörter sind einerseits Transportmittel für Gedanken. Andererseits besteht immer die Gefahr, dass sie die Gedanken parasitisch ersetzen, statt sie zu transportieren. Das bedeutet, dass anstelle von Gedanken automatisch gesteuerte Transportmittel ohne Passagiere erscheinen, oder verlassene Insektengruppen, die nicht ohne Charme, aber leer sind.“

Wenn ich hier Dichterin schreibe, dann meine ich das nicht einschränkend hinsichtlich des Genres. Leider wird dieses Wort heute oft dazu missbraucht, der bezeichneten ein bestimmtes Feld zuzuweisen, meist das der Lyrik. Aber auch Prosa kann Dichtung sein, nicht in jedem Fall, Matynovas Romane jedoch sind es, so wie ihre Gedichte.

Im Grunde verfolge ich ihre Arbeiten seit einigen Jahren. Die Romane, die Martynova auf Deutsch schreibt, habe ich alle gelesen und von den Gedichten, die sie auf Russisch verfasst, das, was in Übersetzungen vorliegt. Manchmal versuchte ich mich sogar mittels meines sozialistischen Schulrussisch an den Originalen, an denen ich ohne Hilfe allerdings scheitern musste. Sich Hilfe zu holen jedoch, ist nicht ehrenrührig. Seit Jahren auch nehme ich mir von Buch zu Buch vor, endlich etwas über die Texte Martynovas zu schreiben. Ich hatte allerdings ein Problem, dass eigentlich kein Problem im Sinne einer alltäglichen Herausforderung ist, aber es war auch kein theoretisches. Auch würde die Lösung dieses Problems, das Problem nicht zum Verschwinden bringen. Das wäre aber auch schade, denn ich mag dieses Problem sehr, vielleicht ist es sogar eines meiner Lieblingsprobleme. Ich werde also weiter an einen Text über Martynova denken.

Im Sommer vor zwei Jahren zum Beispiel befand ich mich in einer sehr schwierigen Situation: meine Mutter lag im Sterben, oder es hatte zumindest den Anschein. Die Ärzte äußerten sich mir gegenüber nicht direkt, zuckten auf meine direkte Frage aber auf eine Weise mit den Schultern, dass ich es als Bestätigung nahm, nehmen musste. Meine Mutter überlebte den Sommer. Und ich kam auch irgendwie durch, was mir ohne die Hilfe meiner Frau nicht gelungen wäre. Trost fand ich darüber hinaus eben bei der Lektüre des Romans „Der Engelherd“, der den Leser, in diesem Fall also mich, durchaus an existenzielle Abgründe geleitet, der sich mit Krankheit und Euthanasie befasst, der im Grunde im Text keinen Trost versprach, aber in der Art und Weise, wie er das tat, mir doch Trost spendete. Paradox.

Ähnlich ergeht es mir heute in einer politischen Situation, die mich im Grunde zum Verzweifeln bringen müsste. Martynova schreibt:

„Politik interessiert mich nur als Privatmensch, nicht als Autorin. Was mich als Autorin interessiert, ist die momentane Verblödung der Welt. Auch meine eigene. Und die zunehmende Politisierung des Alltags. Ich glaube ich habe ein Gespür für Propaganda und reagiere einfach mit meinen Nerven auf ihre Erscheinungen. Das ist die Schule, durch die ich in der Sowjetunion gegangen bin. Deshalb schreibe ich alles aus dem Glauben heraus, ich könnte mit meiner Erfahrung dem gesunden Menschenverstand dienen.“

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