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Literatur

Das Schöne, Schäbige, Schwankende

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelSamstag, 31.08.2019

Ab und zu scheint der Zugang zur absoluten Hochliteratur blockiert, verstopft, unter Geröllhalden von Alltags-Scheiße verschüttet. Würde eine Büchnerpreisträgerin Orangensaft von Innocent trinken (auch wenn es die einzige hochwertige Marke bei Rewe ist, zu dem eine Büchnerpreisträgerin aber wohl auch nicht gehen würde, bloß weil es der Trikotsponsor der Lieblingsbundesligamannschaft ist)? Würde eine SWR-Bestenlisten-Anführerin sich diesen ganzen Hip-Hop-Blödsinn nur der Musik wegen antun (... both of my bitches look good as fuck/ your bitch look like booga wolf, Ty Dolla $ign)? Würde kurzum Brigitte Kronauer nachts bei den US-Open auf Eurosport mit dem unkonzentrierten Schnöseltennis von Zverev mitfiebern und tapfer Bobbele-Beats-Becker-Kommentare ertragen („Sascha muss das Boot jetzt dringend umdrehen und in seine Richtung fließen lassen“)?

Das sind so Fragen, die einen aus der gebannten Lektüre von Brigitte Kronauers Romangeschichten-Band "Das Schöne, Schäbige, Schwankende" (Klett-Cotta) reißen können. Das Buch hab ich mir sofort nach Juliane Lieberts kluger Rezension in der ZEIT besorgt (siehe Hauptlink unten, leider online nur hinter der Bezahlschranke), auch weil ich zuvor schon so begeistert war, wie Volker Weidermann im letzten Literarischen Quartett zehn Minuten lang über Kronauer rumstammelte, bis die Quote endgültig abgerauscht war.

Dabei geht es im "Schönen, Schäbigen, Schwankenden" genau darum: Wie die Ich-Erzählerin der kürzlich verstorbenen Kronauer, Charlotte, den Kritikern noch mal eins auswischen will, von wegen sie könne keinen Plot. Dafür ist sie extra ins Brandenburgische gezogen, in das Landhaus von befreundeten Ornithologen, wo sie munter drauflosplotten will – und dann den schönen Titel (unter dem sich jeder Leser ja genug Schönes, Schäbiges und auch Schwankendes selbst hätte vorstellen können) leider selbst erklärt:

Mich trieb und beflügelte eine Besessenheit. Drei Entwicklungsstufen hätten die Figuren zu durchlaufen, mit sehr unterschiedlichem Erfolg, je nach Abteilung.

Die Schäbigen würden in einen stetigen Fall geraten, von akzeptabler Plattform aus wäre es ein Sturz ins immer Unerfreulichere ohne Aufenthalt.

Die Schönen müßten so beginnen, daß man ihre herausragende Eigenschaft zunächst nicht bemerkt. Erst allmählich, aber kontinuierlich, würde sich ihr Abstieg abzeichnen aus der normalen Lebenstrübnis zur lichten Offenbarung.

Die Schwankenden, so hatte ich es geplant, sollten weder ausdrücklich so noch so beginnen, vielmehr durchmischt, unentschieden anfangen, dann zu einem glänzenden Moment aufsteigen und von dort aus wieder absinkend, in der Weise gezähmt, wie sie jeweils verdienten.

Der Leser stutzt also gleich ein bisschen über die alte Rechtschreibung und Manier – ein „Sturz ohne Aufenthalt“? – und vor allem das doch etwas altertümliche Konzept einer Lebensbeschreibung. Wer – außer vielleicht Elon Musk – würde heute ernsthaft noch ein Leben in Kategorien wie „glänzender Aufstieg“ oder „verdiente Zähmung“ beschreiben?

Halb boshafte Göttin ihrer Erzählung, halb ironische Streiterin für ein bisschen Psychohygiene in überkorrekten Zeiten unterzieht Kronauer sodann die Figuren ihrer 39 Romangeschichten einem grotesken Plotting. Die Stories erinnern vom reinen Erzählskandal-Anlass her eher an Geschichten aus dem Vermischten auf der Panorama-Seite der Tageszeitung. Distanziert und desinteressiert lakonisch werden die unglaublichsten Volten exekutiert, während Kronauer vor allem am Beobachten und Fabulieren interessiert ist. Speziell ihr Blick auf weibliche Charaktere wäre bei einem männlichen Autor sicher ein Fall für metoo.

Da ist zum Beispiel die seltsam legendär bleibende Literaturkritikerin Veronika, genannt "Mitsou", eine "Frau mit Caprice", die einen immensen Männerverschleiß hat, bis Schönheit und Allure nicht mehr ziehen und sich sogar noch der treudoofste Verehrer von ihr abwendet. Eine Abrechnung mit den libidinösen Verflechtungen des Literaturbetriebs, die ein bisschen was von Rache hat (Abrechnungsfaktor in etwas halb Michael Rutschky, halb Elisabeth Borchers), die dann aber bei aller Boshaftigkeit lieber im Ausmalen von Veronikas Nicht-Busen im fiktionalen Ornament steckenbleibt.

Oder die tragische Rosette, ehemaliges VOGUE-Titelbild und bildhübsche Tochter des berühmten Malers Ottokar Fettke, die mit ihrem „pornösen Mund“ (Liebert in der ZEIT) zum erotischen Mittelpunkt einer bis dahin angeödeten Abendgesellschaft wird. Dieser Mund wird zunächst noch poetisch als „dunkelrote Mohnblüte im hellen Feld ihres Gesichts“ überhöht, bevor dann bereits im Jubeln sanft Gift verspritzt wird:

Die unverblendeten, nicht ganz so betäubten Frauen natürlich erkannten auf den ersten Blick, daß Rosetta – gesegnet mit der Anlage zu einem überdimensional großen gurrenden Mund, das schon, das sei neidisch oder neidlos zugestanden – mit eventuell unnachahmlicher List sein Schwellen hervorhob mittels Stiften, Pinseln, geschickter Farbführung, Glanzlack und, das war nicht auszuschließen, künstlicheren Hilfsmitteln oder gar Eingriffen. Diesem phänomenalen Mund, der ihren zweiten, weiter unten gelegenen und verborgenen beschrieb, entkam jedenfalls keiner.

Alle hängen also an diesen Lippen – bis ihnen eine sensationell blöde Äußerung über Putin und Assad entfährt (waren doch auch mal unschuldige Kinder), gefolgt von der noch blöderen Absichtsverkündigung, demnächst wie der Vater „Künstler“ zu werden („Ich will das Ächzen, Keuchen, Schluchzen und Stammeln der stummen Dinge malen“). Um dann – ernsthaft, Brigitte? – „für kleine Mädchen“ zu müssen und beim Toilettengang auf eine ebenso brutalst- wie blödstmögliche Weise exekutiert zu werden, die hier nicht verraten werden soll.

Denn das eignet sich trotz aller altmeisterlichen Manieriertheit und großväterlichen Parodie dennoch als gewisser Gegenwarts-Schock und zum Selbst-Lesen.

Nur: wurde die hochdekorierte Kronauer denn jemals überhart kritisiert? Oder ihr Plotunfähigkeit vorgeworfen? Dann wäre zumindest Letzteres vollkommen zurecht passiert. Aber hätte es ihr wirklich etwas ausgemacht? Oder war ihr das nicht stets nur "Gewäsch und Gewimmel", noch so ein brillanter Titel. Ebenso wie "Das Schöne, Schäbige, Schwankende" trifft er auch perfekt auf Kronauers Schreiben zu, die für uns mit ihrem letzten Buch den Zugang zur Hochliteratur noch mal ein wenig freigeschaufelt hat.


Das Schöne, Schäbige, Schwankende
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