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Literatur

Cowboygräber

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelSonntag, 20.09.2020

Kippt die Stimmung gerade? War Roberto Bolaño, seit seinem fünfteiligen Monsterroman 2666 (der unter anderem von Literaturkritikern, einem rätselhaften deutschen Mega-Autor mit dem bescheuerten Namen Benno von Arcimboldi und Frauenmorden in Ciudad Juarez handelt) Lieblingsautor des 21. Jahrhunderts, in Wirklichkeit eine, wie die SZ unten schreibt, Plaudertasche? Ein verdammter Vielschreiber, der seine vielen Textdateien nicht rechtzeitig wie Herrndorf in der Badewanne zerstörte, um sie dem Zugriff des verhassten Systems (Witwen, Andrew Wylie, Denis Scheck) zu entziehen?

Dieser Eindruck hing natürlich immer schon eng zusammen mit den Gefahren der von Bolaño praktizierten mala scittura, dem "schlechten Schreiben", das er mit voller Absicht gegen die prätentiös-elitären Schönschreiber durchgezogen hatte. Das führte bereits in 2666 beispielsweise zu abenteuerlichen Schwankungen des Lesevergnügens ("Der Teil von Fate" – 150 Seiten Kolportage-Trash über einen schwarzen US-Boxer) oder dem Vorwurf, Schreiben sei für ihn "das circa fünftwichtigste gewesen, was er an dem Tag zu erledigen hatte" (n+1). Oder der zuletzt erschienenen Surrealismus-Schnurre Monsieur Pain, die man ihm nicht wirklich vorwerfen kann, weil sie aus seinem verscherbelten Nachlass stammt und god only knows, ob er sie jemals zur Veröffentlichung freigegeben hätte.

Mit Cowboygräber (Hanser, übersetzt von Christian Hansen und Luis Ruby) feiert unser Lieblingsautor jetzt allerdings noch mal ein Comeback von den Toten.

Die drei hier versammelten Erzählungen zeigen uns Bolaños junges Alter Ego Arturo Belano, das im Zuge des Militärputsches aus seiner chilenischen Heimat zunächst nach Mexiko, dann nach Europa flieht. Im sehr lesenswerten Nachwort von Erstübersetzer, Herausgeber und Freund Heinrich von Berenberg werden die autobiographischen Bezüge allerdings klug relativiert: mit einem Einblick ins Schreiben Bolaños (eines "vorsichtigen, freundlichen Menschen, für den Literatur eine Sache auf Leben und Tod ist").

Diesen Einblick gewähren auch die kurzen Binnenstories aus Cowboygräber. Spannend nicht nur für Bolañologen beispielsweise die aus dem Band Telefongespräche bereits bekannte Story "Der Wurm" noch mal in einer gleich betitelten, aber früheren (oder späteren?) Überarbeitungsphase zu lesen: Arturo  hängt als jugendlicher Schulschwänzer und Buchklauer morgens in Buchhandlungen, Sexkinos und der Alameda, einem Stadtpark von Mexico DF, ab. Eines Tages entdeckt er dort Dreharbeiten mit seiner Lieblingsschauspielerin Jaqueline Andere. Das inspiriert ihn nicht nur zu einer Autogramm-Bitte (obwohl ihn Autogramme nie interessiert haben), sondern auch zur ausführlichen Beschreibung seiner Masturbations-Exerzitien zum das nationale Kino dominierenden Genre des "mexikanischen Erotikthrillers" (mit haarsträubenden Nacherzählungen der Filmhandlungen!), die in der Telefongespräche-Version komplett fehlt.

Und in der "Komödie vom Schrecken von Frankreich" erhält ein junger Poet nachts in einer Telefonzelle in Französisch Guyana (wo Bolaño laut Berenbergs Nachwort-Wissen natürlich niemals war) einen Anruf von einer surrealistischen Untergrund-Bewegung aus Paris. Die haben sich in der Hauptstadt-Kanalisation verschanzt, um von dort aus nicht nur den sauber saturierten, korrupten Literaturbetrieb zu unterwandern, sondern auch ein tolles Leben zu führen:

Sie sind also keine Gefangenen (...) sie pflegen soziale Kontakte, gehen ins Kino, melden sich im Boxverein an, sie schlafen mit Mädchen, einer von ihnen schläft mit Jungs, manchmal, im Sommer, machen sie Urlaub an der Adria oder in den norwegischen Fjorden. Nicht, dass Sie sich ein falsches Bild machen: Diese Aktivitäten finden keineswegs in der Gruppe statt (...) Sie gehen alleine aus, manchmal vergehen Monate, ohne dass sie einander zu Gesicht bekommen, die Kanalisation ist schließlich so groß wie Paris selbst, ein auf den Kopf gestelltes Paris, nur dass man in diesem besonderen Paris keine Bürger findet, sondern die Rückstände der Bürger, ihr Fäkalwasser, ihren Urin, ihre Tränen, ihren Schweiß, ihren Samen, ihr Erbrochenes, ihre Föten, ihr Blut, also die Schattenseite der Bürger, den beharrlichen Schatten, könnte man sagen...

Infra- oder Viszeralrealisten nannte sich die Underground-Gruppe, mit denen Bolaño und Freunde seinerzeit in Mexico City Lesungen von Leuten wie Octavio Paz oder Isabel Allende störten. Und Cowboygräber ist die fröhliche Wiederauferstehung dieses Autors aus dem Geist des Kill your darlings.


Cowboygräber

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Kommentare 1
  1. Frank Willmann
    Frank Willmann · vor mehr als 3 Jahre

    Topmen, Topfmann, Schweinebraten!

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