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Jan Kuhlbrodt
Autor und Philosoph

*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)

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Jan KuhlbrodtSonntag, 26.04.2020

Ein Schibboleth ist also ein Losungswort oder eine bestimmte Sprechweise anhand derer ein Sprecher oder eine Sprecherin als Angehörige einer bestimmten Gruppe oder Schicht kenntlich wird. Das gewinnt nicht nur im Diskurs, der sich im Antisemitismus dreht, sondern auch im postkolonialen Diskurs an Bedeutung. 

Die Art zu sprechen verspricht Zugehörigkeit. Aber viel mehr noch ist eine bestimmte Art zu sprechen die Bedingung, an einem bestimmten, an einem bestimmenden Diskurs überhaupt, sich beteiligen zu können. Es gibt verschiedene Formen des Zugangs zu Sprache, verschiedene Arten der sprachlichen Aneignung, immer aber bleibt auch kenntlich, wer sich beteiligt, wer sich beteiligen darf, und wer zu einer imaginär ursprünglichen Diskursgemeinschaft gehört, und wer als Hinzugekommener gilt.

Eine Freundin meiner Tochter zum Beispiel wird nicht selten für ihr hervorragendes Deutsch bewundert, was zuweilen sogar ein hervorragendes Sächsisch ist. Es würde den Claqueuren aber nicht auffallen, wenn ihr Vater nicht in Mosambik geboren wäre. Und diese Bewunderung, die sie erfährt, ist zugleich ein Ausschluss, ein kenntlich machen ihrer als Fremde.

Es gibt keine Sprache, die nicht auch eine imaginierte Geografie wäre. Meine Zunge wird öffentlich von Fremden gelesen, die mit ihren Händen darüber fahren, als wäre sie ein U-Bahn-Plan.

Das schreibt die in Indien geborene Dichterin und Sozialwissenschaftlerin Divya Victor. Und schon in diesem meinen Satz steckt ein Fehler. Denn auch Indien, das Land Indien ist eine koloniale Konstruktion. Victor schreibt:

Im Jahr 1990 war ich sieben Jahre alt und lebte an einem Ort, in einer "Idee" namens Indien.

In ihrem Buch Scheingleichheit, das gerade im Leipziger Merve Verlag erschienen ist, beschreibt Divya Victor in drei Essays auf eine grandiose Weise die Verwerfungen von Herkunft, Sprache, Geschlecht und Kolonialismus, und schon der erste Essay beginnt mit einer Information, die zumindest mein Denken in dieser Hinsicht sensibilisierte, wenn nicht vollkommen umkrempelte:

Ich bin eine bilinguale Person, ich spreche fließend Englisch und Tamilisch. Meine Muttersprache ist Tamilisch. Ich besitze einen Doktor in Anglistik. Ich bin eine Analphabetin auf Tamilisch.

Victor geht also dieser Sprachlage nach, analysiert sowohl den Prozess des Erlernens der kolonialen Diskursregeln als auch den Verlust der Herkunftssprache und entwickelt daraus eine Poetik, die eine Poetik des Bauchredens ist. Im ersten Essay zeichnet sie das Moment einer postkolonialen Unzugehörigkeit der Sprecherinnen im westlichen Diskurs. Und aus dieser Unzugehörigkeit entwickelt sie im zweiten die Ausgangspunkte zu eben jener Poetik nicht nur Hinsichtlich Herkunft, sondern auch anderer diskriminierender sozialer Strukturen:

Was man hört ist loqui (Rede) + ventri (durch den Bauch) – Rede durch den Bauch, Ventriloquismus. Das ist eine Poetik, die einen Spannungsbogen aufbaut, zwischen dem > aus dem Bauch heraus reden (das absolute Sinnbild für Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit) jemand >spills ones guts<), und dem sprechen in der Sprache von Anderen (das Bild, dass ich mir von Scalaoinos Zikade ausleihe, wie sie ihre Innereien in meine tröpfeln lässt). 

Aus der Übernahme des Fremden, dem Eintröpfeln folgt auch eine Möglichkeit.

Folglich muss sich eine Poetik aus der Abstreifung dieser Unterdrückung entfalten -- und auf diese Unterdrückung reagieren, – eine Poetik der ungeeigneten Zunge, ist auch eine Poetik der angeeigneten Zunge – eine, die sich die Zungen anderer leiht, ausprobiert, ob sie passen, stiehlt, plündert, fröhlich assimiliert, oder mutig austestet im lebendigen Fleisch, im Bauchreden.

Immer aber besteht Victor auf dem Zusammen- und zuweilen Gegeneinanderspiel von Sprache, Sprachklang und Körperlichkeit. 

Im dritten Essay: Eine unbekannte Seillänge oder Wie man Wasser als Farbe überlebt. beschreibt sie anhand eines Bildes, wie noch der Körper zur Gliederpuppe wird und ein Mensch die kulturell geprägten körperlichen Insignien eingezeichnet bekommt, und im Kontext eines Gemäldes seine Berechtigung ausweisen zu können.

Übersetzt wurden die Essays von Lena Schmidt und Katrin Aue steuerte einige Illustrationen bei, die unter anderem mit dem Moment präziser Stadtpläne spielen, das von Zikaden und Zungen irritiert wird.

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