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Literatur

An Claus denken (Aurora)

An Claus denken (Aurora)

Jan Kuhlbrodt
Autor und Philosoph

*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)

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Jan KuhlbrodtDienstag, 06.07.2021

Gerade muss ich wieder viel an Carfriedrich Claus denken, den Einsiedler aus Annaberg, der die ganze Welt bewohnte. Ich lernte ihn in den Achtzigern in Chemnitz kennen, als die Stadt noch Karl-Marx-Stadt hieß. 

Normalität

Die uns umgebende Welt (so es eine solche gibt) ist als eine unüberschaubare Menge an Informationen aufzufassen, im Grunde als eine Datenmenge.

Wollen wir aus dieser “Datenflut” eine Umgebung konstruieren, werden die relevanten von den nicht relevanten Daten gesondert. Jedes Individuum konstruiert derart seine eigene Umgebung.

Die Wahrnehmung, etwas als wahr nehmen oder für wahr nehmen ist gewissermaßen als Filter zu betrachten, in dem sich das Wahre also Relevante vom Unwahren, dem Irrelevanten oder Vernachlässigbaren scheidet.

Als Störung werden Momente betrachtet, in denen sich scheinbar Irrelevantes als Wahres oder Relevantes aufdrängt, und damit für sich einen überproportionalen Wahrheitsgehalt beantragt.

Der Filter hingegen ist die Bedingung des Blicks.

Sprache ist Sprache und Schrift ist Schrift, und Worte sind Laut und Linie.

Frau Kang, eine Koreanische Kommilitonin, sagte mir einmal, dass man, wenn man das Zeichen ihres Namens sehe, die Klugheit ihres Vaters erkennen würde.

Carlfriedrich Claus

Auf den ersten Blick scheint es, als suche Claus im Reizmüll nach Lauten, die nur noch entfernt an Worte erinnern, nach Zeichen, die einmal Buchstaben gewesen sein mögen.

Seine Sprachblätter und Lautaggregate präsentieren den Abfall, so scheint es, das nicht zur Information Gewordene und das über sie hinaus Gewucherte. Diesen Wühlereien gibt er den Namen Exerzitien. Nicht unbedacht wählt er diesen der mittelalterlichen theologischen Praxis entstammenden Begriff, dem auch etwas Militärisches anhaftet.

Vor der Erfindung des Buchdruckes wurden Schriften durch Abschrift vervielfältigt. Die Mönche, die damit betraut waren, hielten sich sklavisch an die Buchstaben des Urtextes. Merkwürdigerweise zeugte dieses Tun einen doppelten Effekt. Die Schreiber nahmen die Texte auch körperlich auf und versahen sie dadurch fast unmerklich mit dem Stempel ihrer eigenen Individualität.

Mit jeder Kopie der Kirchentexte entstand so paradoxerweise ein Unikat.

Im Gegensatz zur maschinellen Vervielfältigung konnte die Physis des Kopisten nicht eliminiert werden. Nicht auszuschließen ist, dass Schreibfehler zu Bedeutungsverschiebungen geführt haben. Erfahrung die über die Texte hinausgeht, war in diesem Prozess das Unerwünschte aber schlechthin Unvermeidliche.

Dennoch sind für uns die in die Kirchenschriften eingegangenen Erfahrungen kaum nachvollziehbar. Nur eine Ahnung davon können wir uns erarbeiten.

Während meines Philosophiestudium habe ich mich an die zwei Jahre mit Hegeltexten herumgeschlagen, ohne auch nur einen Schimmer davon zu bekommen, was der Autor im Sinn hatte. Alle Einführungen in Hegels Werk erwiesen sich angesichts der Originaltexte als nutzlos.

Erst als ich damit begann, einzelne Passagen der Phänomenologie des Geistes mit Hand abzuschreiben, konnte ich mich dem Text verstehend nähern.

Claus geht es nicht um Textexegese. Er will uns und sich einen Erfahrungsraum öffnen, in dem die semantisch unauffälligen Momente von Sprache beredt werden. 

Lesbarkeit im herkömmlichen Sinne ist nicht Intention seines Schreibens, Verstehbarkeit ist nicht Intention seines Sprechens. Klang und Bild als symbolhaft-diskursive Momente der Kommunikation werden zerstört. “In den Auflösungen und Unterbrechungen erhalten sich jedoch die Möglichkeiten für neue, bisher nicht bedachte Bezüge und Ausrichtungen. Ein statisches bloßes Wahrnehmen solcher Zerstörung kannte einen vernichten; ein handelnder tätiger Realismus wäre dagegen auf eine andere << Wahrgebung>> hin gerichtet”, so Claus.

Dass er sich dazu der arabischen, hebräischen und asiatischen Traditionen bedient und sie mit der europäischen verbindet, liegt nahe. Asiatische und hebräische Schriftzeichen werden in andere Sinnzusammenhänge übersetzt und somit auch dem verständlich, der die Originalsprachen nicht spricht.

Claus unterscheidet sich, indem er neue Sprach- und Bildsysteme entwirft.

Diese Universalisieren hinsichtlich einer individuellen Aussage, ermöglichen eine nonverbale Kommunikation des Betrachters mit dem Gebilde, ermöglichen Erfahrung und Verstehen. Im Lautprozessraum, den Claus 1995 im Städtischen Museum Chemnitz installierte, konnte der Besucher durch Bewegung im Raum über Bewegungsmelder die von Claus vorproduzierten Lautprozesse beeinflussen. Er konnte sie beeinflussen, aber nicht steuern.

Beobachtete man jene Besucher, die auf dieses Angebot eingingen, erinnerten ihre körperlichen Aktionen an Tanz. Ebensolche Bewegungen vollführt der Gedanke bei der Betrachtung Clausscher Graphik. Schrift, ausdauernd verdichtet, bis zur Unkenntlichkeit geschrieben, gibt den Blick frei auf etwas Neues, was ihren Sprachkern weit übersteigt So erhält das geschriebene Wort eine Bedeutung, jenseits ihres systematischen Sinnes.

Denken als Sprache und Schrift bildet Landschaft. 

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Kommentare 1
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 3 Jahre

    ähm.

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