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„Ihr nervt mit eurer Moral!“ – „Und ihr seid wischi-waschi.“

Tino Hanekamp
Autor

Tino Hanekamp war Journalist und Musikjournalist, hat in Hamburg zwei Musikclubs gegründet (Weltbühne, Uebel & Gefährlich), einen Roman geschrieben (‚So was von da‘) und unlängst ein Buch über Nick Cave ('... über Nick Cave'). Er lebt im Süden Mexikos.

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Tino HanekampFreitag, 05.02.2021

Eine Redakteurin der Hamburger Morgenpost (Boomer) diskutiert mit zwei Volontärinnen (Millennials) im Grunde über Fragen, die uns auch hier gerade beschäftigen — Warum ist das Wort Zigeuner verletzend? / Und warum war das so grässlich, was da in dieser TV-Talk-Show letztens passiert ist? Vor allem aber geht es um den moralischen Furor der Jungen und die Genervtheit der Älteren, die sich davon derzeit so gemaßregelt fühlen.

Das bereichernde an diesem Gespräch ist, dass beide Seiten wirklich miteinander reden. Auszüge:

Stephanie: Au weia, was für ne Keule. Ihr sitzt auf einem moralisch sehr hohen Ross.

Charlotte: Warum sollen wir uns mit weniger zufrieden geben, als wir verdienen, als Frau, als schwarze Person, als Sinti und Roma? Ich verstehe nicht, dass man so unpassioniert sein kann, was Gerechtigkeit angeht. Ich möchte mich als schwarze Frau in der Gesellschaft auch willkommen fühlen, aber das geht nicht, wenn jemand mit einer verbalen Walze ankommt. Als Kind habe ich den Otto-Film gesehen mit den sieben Zwergen und da wird dieser Witz gemacht, der Jäger wird mit dem N-Wort verwechselt und im Kino haben alle gelacht. Ich habe das nicht kapiert und mein schwarzer Vater auch nicht. Was ist daran so lustig? Und das war 2004.

Sina: Wir machen doch im Prinzip nichts anderes, als das, was eure Generation gefordert hat zum Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wir führen das, was ihr erreicht habt jetzt weiter, wir fordern Gleichberechtigung auch in der Sprache.

...

Charlotte: Vieles haben wir nur erreicht, weil wir so nervig und penetrant sind. Wir nerven euch ja sogar auf Social Media, wir verfolgen euch bis in eure vier Wände. Wir sind überall.

Stephanie: Jetzt krieg ich Angst ... Ist das nicht wahnsinnig anstrengend, immer so wütend zu sein?

Charlotte: Doch! Das ist wahnsinnig anstrengend und manchmal weint man auch, aber ich kämpfe für eine bessere Welt. Ich möchte, dass mein Kind keinen Rassismus erlebt im Kindergarten.

Stephanie: Das möchte ich auch, liebe Charlotte. Unbedingt. Ich glaube, was uns unterscheidet, ist die Bedeutung, die wir Dingen zumessen. Für mich ist ein blöder Spruch auf Martin Sonneborns T-Shirt hinzunehmen, Ausgrenzung im Kindergarten nicht. Eure Skandal-Schwelle ist unheimlich niedrig. Für euch gibt es keine unwichtigen Sachen, keine doofen Witze, für mich schon.

...

Stephanie: Okay, letzte Frage: Ich wünsch mir von euch ein bisschen mehr Lockerheit und weniger moralischen Furor. Was wünscht ihr euch von uns?

Charlotte: Mehr Haltung, weniger von dem „Sind-ja-nur-dumme-Witze“-Wischiwaschi.

Sina: Dass wir mehr auf Augenhöhe miteinander reden.

Zoomt man sich mal ein bisschen raus, zeigt sich diese Boomer vs. Millennials-Nummer als klassischer Generationskonflikt, wie es ihn vermutlich gibt, seitdem Menschen denken können. Trotzdem verstehe ich nicht, warum viele Ältere heute so gegen diesen "moralischen Furor" wettern. Hatten sie den denn (in vielen Fällen) in ihrer Jugend nicht auch? Sehen sie denn nicht, dass auch SIE damit einiges erreicht haben, damals? Wann wird man vom Aufbegehrer zum Bewahrer? Ist die Angst vor dem Furor der Jungen wirklich berechtigt? Warum macht einen deren Wut eigentlich so wütend? Und wäre die angemessenere, klügere, zweckdienlichere und auch gesündere Rolle der Älteren nicht eine verständnisvoll und gelassen beobachtende, also zu sagen: "Hey, ihr schießt da zuweilen übers Ziel hinaus, aber ich weiß wie’s ist, ich war ja auch mal so, und der Gesellschaft hat’s eher genützt als geschadet.“ Denn die Revolution wird’s ja nicht geben. Im besten Fall entwickeln wir uns ein bisschen weiter. Zudem geht's den Jungen heute ja nicht darum, dass alle LSD nehmen oder der Kommunismus eingeführt wird. Sie wollen Bewusstsein schaffen für Sprache und Ausgrenzung, kämpfen für eine gleichgestellte Gesellschaft, gegen den Klimawandel und vor allem dafür, dass Menschen für ihr Handeln Verantwortung übernehmen. Vor allem geht es um Verantwortlichkeit. Letztlich eine bürgerliche Idee.

„Ihr nervt mit eurer Moral!“ – „Und ihr seid wischi-waschi.“

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Kommentare 19
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

    Skandal-Schwelle ... ok. Das ist aber auch - kurioserweise - ein Zeichen für gesellschaftliche Verbesserung. wenn man nicht mehr gegen SS-Offiziere oder Kluklux-klaner kämpfen muss, darf man doch endlich auch die anderen Fehler und Ungerechtigkeiten angehen?

  2. Gabriel Koraus
    Gabriel Koraus · vor 3 Jahren

    Tschuldigung, ich noch mal, aber mich beeindruckt die auf Unkenntnis beruhende ideologische Überheblichkeit der beiden Millennials immer mehr:

    "Es gibt ja einen Unterschied zwischen Herkunft und Religion."

    Jedes Lektüre-Seminar im 3. Semester Soziologie oder Anthropologie würde reichen, um die epistemologischen Grundannahmen, die dieser Aussage zu Grunde liegen, zu disqualifieren. Sich ohne fundierte Reflektionsbereitschaft mit soziokulturellen Erkenntniskategorien zu beschäftigen, ist jedoch natürlich mitnichten und Neffen ein geistiges Privileg dieser einen Generation....

    1. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      heisst es sonst nicht immer, man solle nicht den abgehobenen akademischen Jargon verwenden? :-) .
      und seit wann darf man erst über Ungerechtigkeit diskutieren wenn man fundierte Epistomologie beherrscht?

      und bei aller dekonstruktivistischen Verwischung von 'Religion und Herkunft': wollen Sie wirklich h behaupten Herkunft und Religon seien eins?

      Weiter unten wird über Erfahrungen etc. diskutiert.
      und ich muss mich doch sehr wundern:
      Erfahrungen lehren einem oft doch nur eines: dass man nichts groß ändern kann. Wenn man das nicht weiß, tut man was - und lernt vielleicht dass ...sich doch was ändern lässt :-)

    2. Gabriel Koraus
      Gabriel Koraus · vor 3 Jahren

      @Cornelia Gliem Welcher Art der Jargon zu sein hat, maße ich mir nicht an, festzulegen, entscheidend sind, denke ich, eher die Inhalte. Um Ungerechtigkeiten zu beurteilen, bedarf es zumindest einer gewissen argumentativen Präzision (gerade, wenn diese Ungerechtigkeiten sich nicht jedem auf gleiche Weise offenbaren) und diese fehlt bei der zitierten Aussage vorn und hinten völlig.
      Selbstverständlich sind Herkunft und Religion nicht eins, aber die zitierte Aussage wird im Kontext der Behauptung getroffen, daß eine sei natürlich gegeben, das andere sei frei wählbar. Das verkennt mindestens 100 Jahre soziologischer Theoriengeschichte.

      Ach so, und: Dekonstruktion als "verwischend" zu charakterisieren, ist vermutlich gerade in dieser Zeit, in der das Bedürfnis nach eindeutig determinierten Gewissheiten wieder mal verstärkt über den gesellschaftlichen Diskurs hereinbricht, sehr en vogue. Dessen ungeachtet dient diese Erkenntnistechnik aber gerade dem gegenteiligen Ziel, nämlich Erkenntnise zu schärfen und zu differenzierten. Das geht nur leider meistens mit einer Zunahme an narrativer Komplexität einher...

  3. Gabriel Koraus
    Gabriel Koraus · vor 3 Jahren

    Es ist schon ein bissl krass, wie wenig Tiefenschärfe den Gedankengängen der beiden jüngeren Teilnehmerinnen inne wohnt und mit welch schematischer Eindimensionalität Begrifflichkeiten eingesetzt werden. Zugegeben, die Boomer-Vertreterin überzeugt auch nicht gerade mit Differenziertheit, aber ich könnte wirklich bei fast jedem Gesprächsteil semantische Unzulänglichkeiten anmarkern. Religion ist eine Frage der freien Wahl?
    Christen werden nicht unterdrückt?
    Sonneborn macht sich rassistisch über Asiaten lustig?
    Nein nein und nein: Religion ist als Komponente der Sozialisierung in den seltensten Fällen eine Frage der freien Wahl und selbst in säkularisierten Gesellschaften verkennt die Behauptung der freien Entscheidung die determinierende Kraft der kulturellen Konditionierung. Christen werden nicht nur in Teilen Nordafrikas und auf der arabischen Halbinsel verfolgt, sondern auch in Asien und indirekt sogar im formal säkularen Europa. Und Sonneborn macht keine rassistischen Witze sondern implementiert rassistische Stereotype bewusst, um eben auf rassistische Figurationen hinzuweisen.
    Die Beispiele ließen sich fortführen. Es liegt den geäußerten Meinungen eklatante Willkür und selektive Normativität zu Grunde.

    Sorry für den rant, aber is ja die Kommentarspalte hier :)

    1. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

      wo bitte werden christen im säkularen Europa verfolgt? Das sogenannte davor soll was andeuten?

    2. Gabriel Koraus
      Gabriel Koraus · vor 3 Jahren

      @Cornelia Gliem Verfolgung ist nicht immer so offensichtlich, wie der Begriff implizieren mag. Ohne hier einen Opfermythos zu stilisieren oder das reale Leid verfolgter Minderheiten zu relativieren, aber als Christ:in im Milieu einer ostdeutschen Großstadt aufzuwachsen, geht mitunter mit unerwarten Diskriminierungen einer.

      Die Staaten Westeuropas mögen sich säkulare Verfassungen gegeben haben, die gesellschaftliche Wirklichkeit ist jedoch weit davon entfernt, wirklich säkularisiert zu sein. Und das ist auch gut so, zuende gedacht würde das vermutlich in einer ziemlichen Katastrophe enden.
      Zudem ist Säkularisierung selbst zu einem ideologischen Konzept mutiert und damit in gewisser Weise "religiös" wirksam.

  4. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 3 Jahren

    Wenn man jung ist, hat man so wenig erfahren. Man weiß nicht viel, alles erscheint so klar und einfach. Wir haben die Alten auch für verklemmte Spießer gehalten, die uns ihre Vorstellungen aufdrängen wollten. Man waren die doof ..... Das ändert sich im Laufe das Lebens. Leider?

    1. Tino Hanekamp
      Tino Hanekamp · vor 3 Jahren

      Genau das meine ich! Und mit diesem Wissen, dieser Erfahrung, könnte die eigene Haltung doch eine gelassenere, verständnisvollere sein. Und immerhin wollen die Jungen was, und im Grunde doch was Gutes.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      @Tino Hanekamp Ja, ja, es kommt aber darauf an, das Gute nicht nur zu wollen. Der gute Wille ist ja oft das Gegenteil der guten Tat. Also gewußt wie, man braucht die Erfahrung.Und man sollte Wissen, dass die großen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts mal Jugendbewegungen waren bzw. mal jung angefangen haben.

    3. Tino Hanekamp
      Tino Hanekamp · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl Machst Du Dir wirklich Sorgen, dass aus den Milennials und ihrem moralischen Furor der große Totalitarismus des 21. Jahrhunderts wird?

      Und zur Erfahrung: Ja dann helft ihnen doch, anstatt Euch an zwei drei Schrottwörtern aufzuhängen! Eben weil die Älteren ihre Erfahrungen haben, wäre es doch an ihnen, die Gräben zu schließen. Sollen die Jungen das jetzt auch noch machen?

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      @Tino Hanekamp Na ja, es gab mal einen, der meinte nach dem Ende des real existierenden Sozialismus, das Ende der Geschichte sei gekommen. Ist es nicht. Alles ist offen, alles bleibt möglich. Revolutionen, untergehende Gesellschaften, aufsteigende auch usw..

      Es geht nicht so sehr um Gräben schließen. Zukunft besteht aus Evolution, aus Auseinandersetzungen und auch Streit. Das Know How ist eigentlich da. Erarbeitet durch die Alten. Und die Jungen sollten es nutzen, weiter entwickeln und vielleicht auch mal hinhören. Geht gar nicht anders, ihr seid die nächsten. Bisher war ja da noch nicht viel. Wird aber anstrengend. Besonders wenn man alle Fehler wiederholt. Allerdings mit "Jugendkulturen" wie der Schwarze Block wird es nicht möglich sein. Spass haben und Faschos klatschen reicht nicht. Und natürlich sollten wir uns nicht an Schrottwörtern aufhängen. Das sage ich doch die ganze Zeit, das ist eine meiner Erfahrungen. Nimm sie oder lass es. Ich hab damit nicht angefangen.

    5. Tino Hanekamp
      Tino Hanekamp · vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl Nee, stimmt, das war sozusagen stellvertretend der Sinti-und-Roma-Aktivist Hamze Bytyci, der sinngemäß sagte: Bitte nennt uns nicht mehr Zigeuner. Das Wort haben eure Vorfahren unseren Vorfahren in die Haut geritzt, bevor sie sie vergasten.

      Danke für die Diskussion! Das meine ich ohne Sarkasmus. Sie hat mir geholfen, ein bisschen besser zu verstehen, was hier eigentlich das Problem ist und wie die andere Seite empfindet. Grüße!

    6. Gabriel Koraus
      Gabriel Koraus · vor 3 Jahren

      @Tino Hanekamp Tschuldige, wenn ich mich hier kurz reinhänge, aber bei Deiner einleitenden Frage musste ich an den hier denken:

      https://taz.de/Debatte...

      Der moralische Paternalismus löst im "konservativen Establishment" Reaktionen aus, die den Diskurs nachhaltig beeinflussen und die AFD erst mitermöglicht haben.
      Bissl holzschnittartig, aber auch nicht völlig daneben.

  5. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 3 Jahren

    Es ist kein Generationskonflikt, was man sieht, wenn man in die Gebiete fährt, wo Zigeunermusik zum Alltag gehört. Solche Reisen werden ja hoffentlich in diesem Jahr noch möglich werden.

  6. Julia Schwam
    Julia Schwam · vor 3 Jahren

    Ein gutes Gespräch, finde ich, das erfreulicherweise nicht auf Eskalation angelegt ist. Dass am Ende nochmal die Frage kommt, was wünscht ihr euch von uns, finde ich richtig gut, weil es einer Haltung entspricht, die in den Medien selten dargestellt wird. Ich kann die Wünsche einer anderen Seite auch dann wichtig nehmen, wenn ich sie nicht erfüllen möchte oder kann. Oder ich kann stattdessen die andere Position wütend entwerten. Letzteres zu sehen, hören, lesen bin ich persönlich ziemlich leid.

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