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Flucht und Einwanderung

Gestern & Heute: Schmelztiegel der Völker oder Ort der Trennungen?

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergMittwoch, 19.05.2021
Gestern waren viele Städte am Mittelmeer Vielvölkergemische; heute breitet sich die Collagen von Minderheiten in Metropolen des Nordens aus.

Beat Stauffer, der über Maghreb, Migration, islamistische Bewegungen sowie Muslime in Europa schreibt, deutet diese Verschiebung.

Zwar findet man mancherorts noch vielgestaltige Gebäude, aber die dazu gehörige gemischte Stadtgesellschaft gibt es nur noch als Rudiment. So in Tunesien:

La Goulette war noch bis in die sechziger Jahre eine multikulturelle Stadt. Französische Colons, italienische Fischer, maltesische Händler, jüdische und muslimische Tunesier: Ein buntes Völkergemisch bewohnte die äusserst lebhafte, mediterrane Hafenstadt. Geblieben sind bloss die architektonischen Zeugen: üppige Villen in neomaurischem und italienischem Jugendstil, heruntergekommene Hotels, eine Synagoge und jüdische Wohnhäuser, die katholische Kirche und die Festung, die König Karl V. im Jahr 1535 nach der Eroberung von Tunis erbauen liess.

In einem Rundblick zeigt er, dass La Goulette keine Ausnahme ist, sondern die Regel am Süd- und Ostrand des Mittelmeers. Alexandria und Tanger, Oran und Beirut, Izmir und Haifa verloren ihre kosmopolitische Gegenwart.

Als Gründe nennt der Autor:

das Ende der europäischen Kolonialherrschaft und die erzwungene Rückkehr von rund zwei Millionen Menschen in ihre einstigen Herkunftsländer; die Gründung Israels und der damit verbundene Exodus von Hunderttausenden von Juden, vorwiegend aus arabischen Ländern; der vor hundert Jahren ausgetragene Krieg zwischen Griechenland und der Türkei, der einen brutalen «Bevölkerungsaustausch» zur Folge hatte; und schliesslich die weitgehende Ausrottung der Armenier in der Türkei. Eine wichtige Rolle spielten aber auch die Ideologien des Panarabismus und Islamismus. Die «Diversität» der Ethnien und Religionsgemeinschaften hat in diesen Ideologien keinen Platz.

Zeitgleich gab es entgegengesetzte Entwicklungen in großen Städten Westeuropas, die durch Flucht und Einwanderung zu Collagen der Minderheiten mutierten.

Der Verlust der kosmopolitischen Städte am Südrand des Mittelmeers deutet Beat Stauffer als einen enormen Verlust und warnt aber zugleich, das Verschwinden zu verklären:

Denn insgesamt waren Spannungen zwischen Minoritäten und der Mehrheitsgesellschaft, aber auch kriegerische Konflikte mindestens ebenso häufig wie eine friedliche Koexistenz.

Wenn in Tunesien, jahrhunderte-, nein: jahrtausendelang ein Schmelztiegel aller Mittelmeervölker, heute eine arabisch-islamische Monokultur vorherrscht, sollte uns das hellhörig machen.

Drei Schlussfolgerungen zieht Beat Stauffer aus seinem Nachdenken:

Ein erster Punkt betrifft den Faktor Zeit. Bei vielen Beispielen für eine friedliche Koexistenz ist diese über Jahrhunderte entstanden. Es sind langwierige Prozesse des Sich-aneinander-Gewöhnens und Sich-näher-Kennenlernens.

Deshalb sollte man die Einwanderung stärker steuern und klare Regeln setzen.

Gesellschaften, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenleben, können nur funktionieren, wenn Ideologien, welche die Gleichwertigkeit von Ethnien und Konfessionen ablehnen, bekämpft werden; unter Einheimischen wie auch unter Migranten.

Wer bedenkt, dass jahrhundertelange Koexistenz in kurzer Zeit brüchig werden kann, der ist gewarnt, multikulturelle Gesellschaft nicht zu forcieren und nicht zu verherrlichen.

Ist das, salopp gesagt, die feinste Zunge der Abweisung? Sind Entwicklungen zu relativ homogenen Nationalstaaten möglich?

Zwar ist es richtig, dass Europa unwiderruflich multikulturell geworden ist. Doch schon heute ist der alte Kontinent enorm herausgefordert, diese Heterogenität zu meistern und produktiv zu gestalten – so wie einst in den kosmopolitischen Städten am Mittelmeer zu ihren besten Zeiten.

Und um diese Entwicklung tiefer und weiter zu begreifen, empfehle ich einen großen Essay von Edgar Morin.

Jung ist der Autor, der nun erstmals auf piqd vorgestellt wird, nicht: Er wird nach einem Leben als Résistance-Kämpfer gegen die Nazis und als Forschungsdirektor im Juli 100 Jahre.

In seiner Rede aus dem Jahre 1994 schreibt er wie ein großer Dichter und weitet geographisch das mögliche Verschwinden der multikulturellen Städte angesichts der damaligen Jugoslawienkriege geographisch aus.

Heute gelesen ist sie ein Kassandraruf, der – wie üblich – nicht beachtet worden ist.

Das zeigt Beat Stauffer im aktuellen Beitrag. 

Aussichten auf den Bürgerkrieg oder auf ein Neben- und Miteinander der Minderheiten – das ist hier die Frage.

Für uns.

Gestern & Heute: Schmelztiegel der Völker oder Ort der Trennungen?

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Kommentare 1
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre

    Danke für den differenzierten und nachdenklichen Text .....

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