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Flucht und Einwanderung

Die Flüchtlinge sind unter uns – Umrisse eines Jahrhundertromans

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergFreitag, 20.11.2020
Als ich diesen dichten, nachhallenden Text gelesen hatte, musste ich an meinen Besuch bei Aharon Appelfeld (1932–2018) in Jerusalem denken. Im Interview bemerkte dieser:

Meine Romane spielen in der Gegenwart. Ein Roman, der nur in der Vergangenheit spielt, kann nicht gut sein. »Krieg und Frieden« ist auch kein historisches Werk. Tolstoi behandelt darin seine eigenen Kriegserfahrungen. Jeder Schriftsteller kann eine andere Zeit aufleben lassen, aber sein Roman ist in der Gegenwart verwurzelt.

Vielleicht gilt das auch für publizistische und wissenschaftliche Arbeiten. Jedenfalls skizziert Marion Detjen ihre Familiengeschichte im 20. Jahrhundert mit Fokus ihres aus Russland geflohenen Großvaters so, dass dieser wie ein Roman in Pillenform wirkt.

Ich hatte einen russischen Großvater, der 1921 nach Deutschland kam. ... Er war mit 16 Jahren, ein Jahr nach Ausbruch der Oktoberrevolution, von seiner Familie getrennt worden, auf einer dreijährigen Odyssee über Sibirien und die Mandschurei mehrmals nur knapp dem Tode entronnen und hatte es schließlich nach Japan und von dort nach Europa geschafft.

Der Großvater litt wie viele Flüchtlinge daran, dass er seine Familie und Freunde zurücklassen musste. Er sah sie – bis auf eine Ausnahme – nie wieder:

Erst starben die Mutter und eine Schwester an Krankheit und Auszehrung. 1931 starb der Vater Alexander Medem, bis 1917 ein für die Landwirtschaft begeisterter Gutsbesitzer, im Gefängnis. 1937 wurde die Schwester, mit der er am engsten gewesen war, im "Großen Terror" zum Tode verurteilt und ermordet. Übrig blieb nur die jüngste Schwester Dina, die fünf Jahre alt gewesen war, als mein Großvater ging. Erst 1970, nach Abschluss des Moskauer Vertrages – 52 Jahre nach ihrer Trennung – konnte er sie besuchen.

Marion Detjen verknüpft ihre alte persönliche Geschichte mit der Gegenwart und universellen Fragen:

Für die Nationalkulturen – auch die der Einwanderungsgesellschaften, wenn sie gut integriert sind – sind die Geschichten des Zurücklassens kaum zu verdauen. Denn sie können nicht anders aufgelöst werden als durch wenigstens gedankliche Auflösung der Grenzen. Wie sollen Staat und Gesellschaft darauf reagieren, dass ein Teil der Bevölkerung in einem so schrecklichen Dilemma steckt?

Flüchtlinge sind bekanntlich "Boten des Unglücks" (Brecht). Durch sie erkennen wir Widersprüche und Probleme der Epoche deutlicher – damals wie heute. Und deshalb endet der Beitrag mit einem Vorschlag, wie man das Dilemma auflösen und produktiv machen könnte für uns wie für die Flüchtlinge:

Wenn Syrerinnen und Afghanen um das Leben ihrer Angehörigen bangen, dann ist das nicht ihre Privatsache, sondern geht uns alle an. Holt sie in eure Schulen. Lasst sie erzählen. Lasst ihre Kinder zwei- oder dreisprachig aufwachsen. Helft ihnen, ihre Angehörigen wenigstens auf Besuch zu holen. Spendet, damit das Leben in Syrien und Afghanistan leichter wird. Hegt und pflegt ihr diasporisches Wissen, das die Grenzen wenigstens gedanklich durchlässig macht. Wir alle müssen das transnationale Denken üben. Denn das, was wir in Syrien und Afghanistan und anderen Teilen der Welt durch unsere nationale Abkapselung, unser Wegschauen, unsere Resignation und unsere Ressentiments mitverantworten, wird uns genauso sicher in ein paar Jahrzehnten einholen, wie die Abkapselungen gegenüber den Erfahrungen der Menschen in Russland uns eingeholt haben.

Die Flüchtlinge sind unter uns – Umrisse eines Jahrhundertromans

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