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Europa

Was können wir in Demokratien von Politik erwarten – und was nicht

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlMittwoch, 08.12.2021

Der Artikel behandelt das Thema vorrangig am Beispiel Deutschlands. Es ist aber ein grundsätzliches Problem aller westlichen Demokratien, in denen die Bürger die Erfüllung ihrer Ansprüche vorrangig von der Politik und den Politikern erwarten.

Nach fünfundsiebzig wohlstandssatten Nachkriegsjahren scheint sich ein eigenartiges Anspruchsdenken gegenüber dem politischen Betrieb eingeschliffen zu haben, bei dem man viel verlangt, viel bekommt, glaubt, nicht genug bekommen zu haben – und flugs noch mehr verlangt. Dazu gesellen sich Nörgellust, Zweckpessimismus und als topping ein dicker Klecks Gehässigkeit: Politiker jeder erdenklichen Spielart der Unmoral zu verdächtigen – von Selbstbereicherung bis zum Sadismus –, steht vielerorts im Rang einer Bürgerpflicht; sie mit Schimpfkanonaden zu bedenken, gilt schlimmstenfalls als Kavaliersdelikt. 

Man wählt eine Partei, je nach Wünschen und entsprechend den Versprechungen, diese zu erfüllen. Freiheit, Gleichheit, Gesundheit und Wohlstand, Klimarettung inklusive – Politiker haben es versprochen und sollen nun "liefern". Der Kampf Gut gegen Böse als großes Staatstheater mit Gesellschaftsspiel in der Erlebnisdemokratie. 

Nichts mit Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, nichts mit den Mühen der Ebene, dem Ausbalancieren unterschiedlicher Interessen und Sichten und Bohren dicker Bretter, um sich und die Gesellschaft voranzubringen.

Man könnte auch sagen, ein Verständnis, das auf einer Fehlübertragung des alltagsweltlich beliebten »Wer-zahlt-schafft-an«-Prinzips in die Rationalität demokratischer Verfasstheit gründet: Der Bürger arbeitet, zahlt Steuern und glaubt, sich damit sowohl die Rolle des Großkritikers als auch das Recht auf custom-made politics erkauft zu haben.

Sicher ist dies kein speziell deutsches Phänomen und es wäre zu diskutieren, wie es in anderen europäischen Staaten ausgeprägt ist:

Ähnlich gelagerte Debattenmankos und Wahrnehmungsdefekte finden sich in so ziemlich jeder demokratischen Ordnung, in der ihnen ausreichend Raum zur Entfaltung gegeben wird. Und doch wird die Politrealität kaum irgendwo so verzerrt gespiegelt wie hierzulande; kaum irgendwo geht es der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung so gut, ist der Diskurs so zivil und die Neigung zu Konsens und Kompromiss so ausgeprägt wie zwischen Nord- und Bodensee.

Wobei ich den letzten Teil des Satzes so nicht (mehr) unterschreiben würde. Der Diskurs verschärft sich schon eine ganze Weile und nicht nur in den sozialen Medien. Ja, wir brauchen dringend eine Auseinandersetzung mit der verbreiteten Politikverachtung und mit der Unfähigkeit in der Bevölkerung, die Wirkungsmöglichkeiten, die -potenziale von Politik realistisch zu beurteilen. Was letztendlich komplexere Weltbilder voraussetzen würde – auch im Journalismus. Politik ist und bleibt die Kunst des Möglichen, ist nicht die Sphäre des Wunschdenkens und der großen, schnellen Versprechungen. Und Politik ist wie alles menschliche Handeln auch fehlerbehaftet, Politiker können die Zukunft genauso wenig sehen, wie andere. Es gilt:

Kritik kann und soll geübt werden, wo gut erreichbare Ziele aus eigener Schuld nicht erreicht werden; nicht aber dort, wo die Erreichbarkeit des Ziels oder der Umfang der eigenen Handlungsmöglichkeiten von vornherein in Zweifel zu ziehen sind. Wer Politik für alles Leid der Welt verantwortlich macht, wer also glaubt, Armut und Hunger würden verschwinden und ein Goldenes Zeitalter würde einkehren, wenn nur die Politik eine andere wäre, verstetigt irreale Erwartungslagen und bewegt sich an der Grenze zur Fantasterei. Selbiges gilt, wenn Politik einzig durch das Prisma eines dauernden Scheiterns wahrgenommen wird, bei dem der Betrachter dazu konditioniert ist, Umsicht als Zauderei, Forschheit aber als Aktionismus zu deuten. Ein solcher Beobachter wird nur schwer imstande sein, sich abseits einer solch einseitig negativistischen Interpretationspraxis ein Urteil zu bilden. Mehr noch, er wird kaum eine Gelegenheit auslassen, den »anthropologische[n] Urimpuls der Klage über die je aktuellen sozialen Verhältnisse« zu einer Art Tugend zu verklären. 

Die Hoffnung, dass in einer gebildeten und alternden Gesellschaft "Weisheit" und Gelassenheit einzieht, habe ich inzwischen aufgegeben. Aber etwas mehr könnten wir schon aus unserer Geschichte mit den großen Wunscherzählungen des 20. Jh. lernen. Um es mit den Worten von Stanislw Lem aus dem Jahr 1976 zu sagen:

Ich vertraue nicht auf Versprechungen glaube nicht an Versicherungen, die sich auf einen so genannten Humanismus berufen. Gegen eine Technologie hilft nur eine andere Technologie. Der Mensch weiß heute mehr über seine gefährlichen Neigungen als noch vor 100 Jahren und nach weiteren 100 Jahren wird sein Wissen noch vollkommener sein. Möge er dann davon Gebrauch machen. 

(Stanislaw Lem: Summa Technologiae, Suhrkamp, Vorwort von 1976)

Was können wir in Demokratien von Politik erwarten – und was nicht

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