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Europa

Unsere erschöpfte Demokratie, unsere Mündigkeit und die Selbstbegrenzung

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlDienstag, 18.02.2020

Wir alle spüren die Erschöpfung unserer Demokratie in vielen Bereichen. Von der unklaren Reaktion auf den Klimawandel über die Flüchtlingskrise bis hin zur heftiger werdenden ideologischen Spaltung unserer Gesellschaften. Die Autor/innen knüpfen bei der Frage, ob sich diese Probleme, die notwendige Transformation der Strukturen, überhaupt mit demokratischen Mitteln lösen lassen, an Platon an: 

Auch die äußerste Freiheit wird wohl dem einzelnen und dem Staat sich in nichts anderes umwandeln als in die äußerste Knechtschaft. [...] So kommt denn natürlicherweise die Tyrannei aus keiner andern Staatsverfassung zustande als aus der Demokratie, aus der übertriebensten Freiheit die strengste und wildeste Knechtschaft.

Führt also das Freiheitsversprechen der liberalen Demokratie zunehmend dazu, dass größere, notwendige Transformationen einerseits an der Trägheit der Massen scheitern und andererseits dadurch eine Welle der Autokratisierung hervorgerufen wird? Liegt die Erschöpfung der Demokratie in der Entgrenzung von Freiheits- und Berechtigungsansprüchen - zu viele Rechte, zu wenige Pflichten? Ist also die Staatsform "Demokratie" per se unfähig komplexe Herausforderungen zu meistern? Oder haben wir nur falsche Zeitvorstellungen, über die Dauer und Heftigkeit von Transformationen? Der Artikel verweist dazu auf den selbstbestimmten, mündigen Bürger als Ideal der Aufklärung:

Die aufklärerische Idee des freien, mündigen und selbstbestimmten Menschen, dessen Würde unantastbar und der das Subjekt universaler Menschenrechte ist, bildet den normativen Kern der Demokratie und des demokratischen Projekts. Diese Idee ist auf unterschiedliche Weise ausbuchstabiert und institutionalisiert worden. Aber sie ist letztlich stets der normative Referenzpunkt aller Kriterien, an denen demokratische Institutionen und Systeme gemessen werden. 

Aber schon in diesem normativen Kern sind Pflichten des Einzelnen nicht explizit vorgesehen. In Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstandes lassen sich Pflichten auch gut durch Umverteilung von Ressourcen überspielen. Ein wachsendes Gesundheitssystem behandelt z. B. auch die Folgen eines exzessiven Lebenswandels. Stagnation und Krisen jedoch erfordern Begrenzung, Selbstbegrenzung und Verantwortung.

Sich als kritisch bezeichnende Sozialwissenschaften argumentieren oft, dass das grundsätzliche Potential der mündigen Bürger bisher von den Herrschaftsstrukturen und der Ökonomie des Kapitalismus verhindert und unterdrückt worden sei. Die Bürger sind daher von ihren eigentlichen Interessen entfremdet. 

Diese Narrative lassen aber außer Acht, dass erstens seit jeher eine fundamentale Spannung bestanden hat, zwischen dem emanzipatorischen Prinzip der Grenzüberschreitung und dem ökologischen Prinzip der Begrenzung und Grenzeinhaltung, die emanzipatorisch-ökologische Bewegungen und Parteien noch nie überzeugend aufzulösen vermochten. Zweitens haben sich in jüngerer Zeit die vorherrschenden Verständnisse von Freiheit, Selbstverwirklichung und einem guten Leben in modernen Gesellschaften grundlegend verändert ......

Und das sicher nicht in Richtung Selbstbegrenzung und -verantwortung. Eher hin zu subjektiver Flexibilität, Mobilität, Vielseitigkeit und Einzigartigkeit. Die Forderung nach Begrenzung erscheint als freiheitsberaubende „Zumutung“.

Wo könnte der Ausweg sein?

Wenn aber eine demokratische Transformation zur Nachhaltigkeit überhaupt möglich sein soll, dann ist eine Rückbesinnung auf dieses aufklärerische Ideal (der demokratisch-ökologische Mündigkeit Th.W.) eine unverzichtbare Vorbedingung. Denn anders können die Neuverhandlung der entgrenzten Freiheitsansprüche und eine kollektive Selbstbegrenzung kaum gelingen.

Aber genau das ist das Problem. Diese Rückbesinnung auf ein einst von Intellektuellen formulierte Ideal ist eine Voraussetzung, die "die Demokratie" selbst nicht in der Hand hat. Wie verhalten sich Ideale zur Wirklichkeit. Wer sollte da an wen angepasst werden? Und durch wen?

Unsere erschöpfte Demokratie, unsere Mündigkeit und die Selbstbegrenzung

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Kommentare 4
  1. Uwe Protsch
    Uwe Protsch · vor 4 Jahren

    Kann es sein, dass es derzeit schlicht an Solidarität fehlt? Freiheit, Gleichheit - und auch Brüderlichkeit wurden einst gefordert. Eine Gesellschaft, mag sie noch so frei und noch so egalitär sein, wird nicht überleben ohne zwischenmenschliche Solidarität. Stellt sich also die Frage, wo die Brüderlichkeit geblieben ist. Meiner Meinung nach hat der neoliberale Kapitalismus dafür gesorgt, dass die Meisten Freiheit mit Selbstoptimierung verwechseln. Mitmenschlichkeit gilt hier, ähnlich wie im Faschismus, als Fehler. Autoritäre Regierungen hinwiederum werden die anstehenden Probleme ohnehin nicht lösen; dafür sind sie viel zu ideologisch, und außerdem findet unter ihnen kein offener, angstfreier Diskurs statt, der zu den bestmöglichen Erkenntnissen führen könnte. Wir müssen also zu einer Gemeinschaft freiheitlicher und brüderlicher Individuen werden, um als Menschheit würdevoll zu überleben.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 4 Jahren

      Ich weiß nicht genau was unter Solidarität verstanden wird. Das ist ja ein wechselseitiges und komplexes Verhältnis. Auf der Ebene solcher allgemeiner Begriffe wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist schwer zu diskutieren. Freiheit und Gleichheit widersprechen sich ja teilweise und Brüderlichkeit ist schon in Familien schwierig. Ich weiß nicht ob "der neoliberale Kapitalismus"dafür gesorgt hat, das viele Freiheit mit Selbstoptimierung verwechseln. Das sind alles solche Klischeesätze, die m.E. eigentlich nicht viel über unsere Wirklichkeit aussagen. Die Sozialsysteme in den Ländern mit kapitalistischen Wirtschaftssystemen sind unterschiedlich. Viele davon sind durchaus solidarisch. Und im restlichen Teil der Welt ist die Brüderlichkeit sicher eher noch unterentwickelter ....

    2. Uwe Protsch
      Uwe Protsch · vor 4 Jahren

      @Thomas Wahl Wenn Frau Kalke und Herr Blühdorn über solch allgemeine Begriffe wie "Freiheit" diskutieren, ist dies auch anderen gegeben. Zum Beispiel mir. Ich meine, dass ich berechtigt bin, dazu etwas beizutragen und erwarten kann, dass Sie sich auf konstruktive Kritik beschränken und meine Beiträge nicht als "Klischeesätze" abwerten. Ich kenne übrigens Einige, die sich der Selbstoptimierung verschrieben haben und nie auf die Idee kämen, über den Begriff "Freiheit" auch nur nachzudenken.

      Dass Freiheit und Gleichheit sich widersprechen, wird gern (von interessierten Kreisen?) behauptet. Aber ohne Freiheit (in der politischen Ordnung) gibt es keine Gleichheit (vor dem Gesetz und den Behörden), und ohne ein gewisses Maß an materieller Gleichheit gibt es keine Freiheit vor Willkür durch ökonomisch Stärkere.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 4 Jahren

      @Uwe Protsch Ja, natürlich sollten wir darüber diskutieren und möglichst viel sollten mitmachen. Ich habe nicht ihren Beitrag abgewertet, jedenfalls war das nicht meine Absicht. Aber dann müssen wir uns eben genau über die Begriffe und ihrer Relation zur Wirklichkeit unterhalten. Sonst bleiben wir auf der Ebene allgemeiner Anklagen stecken. Was ist "der neoliberale Kapitalismus"? Für mich eher ein Kampfbegriff bzw. eine ideologische Figur, weniger ein genau definierter Prozess. Die reale Geschichte der letzten 40 Jahre war wesentlich vielfältiger. In den USA mag der Begriff noch greifen, vielleicht auch in GB. Dann wird es aber schon schwierig.

      Gleichheit vor dem Gesetz kann ich noch nachvollziehen. Aber das ist nicht Gleichheit allgemein. Freiheit im politischen System, ok. Aber auch das ist nur ein begrenzter Aspekt, ebenso die Freiheit vor Willkür und das ist weitgehend hier verwirklicht. Andererseits heißt Freiheit auch Freiheit zur Ungleichheit. Oder wollen Sie alle Menschen gleich machen? Und Gerechtigkeit wäre noch mal was anderes.

      Selbstoptimierung ist auch ein weites Feld. Sicher gibt es solche Menschen, aber nicht erst seit dem "Neoliberalismus".

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