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Europa

Boris Johnson attackiert den britischen Rechtsstaat

Silke Jäger
Freie Medizinjournalistin

Ich lebe in Marburg und schreibe über Gesundheit und Gesundheitspolitik.

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Silke JägerSonntag, 11.07.2021

Es ist schon bemerkenswert, dass jemand, der sich so wenig der Wahrheit verpflichtet fühlt wie Boris Johnson, zum Premierminister eines Landes gewählt wurde, das sich selbst keine Verfassung gab, weil es auf den Ehrenkodex der politischen Klasse setzt. Ist es Boris Johnson, der dieses politische Selbstverständnis veränderte oder hat es sich schon vorher so verändert, dass jemand wie er möglich wurde? 

Genau genommen lügt Boris Johnson gar nicht so viel, wie ihm immer nachgesagt wird. Zu lügen setzt voraus, dass man die Wahrheit als Konzept anerkennt. Doch genau das tut Johnson nicht, betont Annette Dittert in diesem fulminanten Text (der in UK gerade viel beachtet und gelobt wird). Statt auf die Lüge setzt er auf den Bullshit.

Die eigentlichen Lügen sind dabei nur ein Teil des Problems; das größere ist das Verwischen der Wahrheit hinter „Bullshit“, wie es der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt bereits Ende der 1980er Jahre analysierte.[1] Wer lügt, muss die Wahrheit kennen, die Tatsachen als Referenzsystem im Auge behalten. Damit behält die Wahrheit letztendlich ihre Gültigkeit. Dem „Bullshitter“ hingegen, und das hält Frankfurt für wesentlich, ist die Wahrheit gleichgültig; er nimmt es mit ihr und den Fakten einfach nicht genau. Ihn interessiert nicht, wie es in „Wirklichkeit“ ist. Ihn interessiert nur, mit seinen Behauptungen durchzukommen. Er biegt sich alles so hin, wie er es braucht, um zu kaschieren, was er im Schilde führt. Er verwischt die Tatsachen als Referenz und untergräbt damit die politische Kultur einer Demokratie, die auf die Unterscheidung von wahr und falsch angewiesen ist.

Was von hier aus oft wie Klamauk wirkt, ist in UK alles andere als das. Sämtliche Institutionen des demokratischen Staates werden durch die Strategie gefährdet, die auch oft "Mudding the Waters" genannt wird: das Parlament, die Justiz und die Vielfalt der Presse inklusive Pressefreiheit. Die Presselandschaft ist in UK schon seit Jahrzehnten in einem besorgniserregenden Zustand. Bullshitting gehört auch zu ihrem Handwerkszeug.

Neu ist, dass Boris Johnson nicht nur diesen Shit-Strom nutzte, um sich nach oben spülen zu lassen, sondern nun dabei ist, sämtliche Medien zu attackieren, die ihren Auftrag, der Regierung auf die Finger zu schauen, ernst nehmen. Auch die BBC. Vor allem die BBC.

Die BBC ist schon jetzt spürbar vorsichtiger und ängstlicher geworden, wenn sie über die Johnson-Regierung berichtet. Als beispielsweise Emily Maitlis, die bekannte Moderatorin der BBC-Newsnight, sich zu Beginn einer Sendung im Mai 2020 kritisch zu Johnsons damaligem Chefberater Dominic Cummings äußerte, der dabei erwischt worden war, wie er die von ihm selbst eingeführten Lockdown-Regeln brach, wurde sie dafür abgemahnt. Die BBC-Geschäftsführung entschuldigte sich bereits am nächsten Morgen in einem öffentlichen Statement für Emily Maitlis und ihre Kritik. Mit ihr selbst oder der Redaktionsleitung hatte niemand gesprochen.

So schafft es die Johnson-Regierung, dass fast alle politischen Skandale – Korruption, Beeinflussungsversuche in Richtung Justiz, Attackieren des Parlaments – verpuffen. Alles unter Bullshit begraben. Die Menschen im Land sind so überfordert damit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, die echten Skandale von den aufgeblähten zu unterscheiden, dass Johnson kaum noch fürchten muss, für seine Fehler abgestraft zu werden.

Kann sich eine Demokratie eine Regierung leisten, die keine Rechenschaft mehr über ihr Tun ablegen muss? Dieser Text sammelt viele beunruhigende Indizien dafür, dass UK auf dem Weg ist, Ländern wie Polen oder Ungarn nachzufolgen. Das liegt nicht nur am Bullshit oder am Brexit. Aber die ermöglichen es.

Boris Johnson attackiert den britischen Rechtsstaat

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Kommentare 1
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

    Ehrenkodex - das könnte man jetzt lächerlich finden, hat aber erstaunlich lange gut funktioniert.
    Und eine Verfassung schützt ja nun auch nicht immer - siehe Polen und Ungarn.

    was ich am schlimmsten finde:

    dass in eigentlich stabilen Demokratien wie USA und GB lügende und zt irrwitzige Autokraten an die Macht kommen und bleiben (!) können.
    sind wir so ... anfällig?

    Sollten Demokratien durch Teilhabe nicht die Bürger*innen einbinden und so diese auch zu Verteidigern des eigenen Systems?
    Oder funktioniert das nur wenn Demokratie plus Wohlstand auftritt? Mit ausreichender Bildung gepaart?
    oder ist das die Illusion die wir zb in der BRD aufgesessen sind nach 1949?

    Und da hat es nur geklappt weil eine starke Besatzungsmacht anfangs den Deckel drauf hielt bis das Grundgesetz mehr oder weniger sakrosant wurde?

    Und wir haben jetzt eher das Problem dass man auch zu zufrieden mit seinem System sein kann, sich bequem zurück lehnt - und wundert sich dann (angesichts doch vorhandener Probleme), dass es tatsächlich welche gibt, die das Kind mit dem Bade ausschütten wollen (sprich: nicht nur was verändert sondern gleich das System stürzen )?

    Natürlich habe ich jetzt statisch zwei Pole gegenüber gestellt:

    stabile Demokratien und alles andere. Das ignoriert dass irgendwas ja mal jede Demokratie begonnen hat - sie fingen an als NichtDemokratien und waren lange instabil.
    (ganz zu schweigen davon wie überheblich der Gedanke an sich ist).

    was stabilisiert also? Die genannten Punkte Wohlstand Bildung Teilhabe engagierte Bürger und "strenge" Rahmenbedingungen?

    ist es heutzutage schwieriger als wasweisich 1789?
    weil alle Welt drauf guckt? weil man quasi sofort Ergebnisse will und nicht sich/dem globalen Nachbar mal eben 50 Jahre der Entwicklung zeit gibt?

    Andererseits um mit was optimistischen zu schließen -
    wollen heute alle demokratisch sein und propagieren die Menschenrechte, egal ob vorgeschoben oder nicht.

    Das ist tatsächlich ein Fortschritt.

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