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Zeit und Geschichte

Wer nur auf die Ukraine schaut, der sieht zu wenig

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergMittwoch, 01.02.2023

In einem Aufsatz sucht mit Herfried Münkler – einer der klügsten politischen Beobachter unseres Landes – eine Antwort auf die Frage:

Wie pazifiziert man die Revisionisten von Putin bis Erdoğan?

Es ist ein scheuklappenentsorgter Blick auf eine noch fragile Welt(un)ordnung, der das Verhalten auch von Präsident Lula im fernen Brasilien erklärt.

In einem ersten Schritt schaut er auf die Konflikte rund um das Schwarze Meer:

nördlich davon die Ukraine, östlich davon der Kaukasus, in dem es in den letzten Monaten immer wieder zu Kämpfen gekommen ist. Die Probleme zwischen Aserbaidschan und Armenien sind ungelöst. Südlich des Schwarzen Meers haben wir die Türkei, die seit vielen Jahrzehnten einen Krieg gegen die Kurden führt, dessen Wurzeln bis zum Friedensvertrag von Sèvres zurückreichen.

...

Kurzum: Im Norden wie im Süden des Schwarzen Meeres spielen historische Erinnerungen eine zentrale Rolle, die ich als „imperiale Phantomschmerzen“ bezeichnen möchte.

In einem zweiten Schritt erläutert er das immer noch relevante Verhältnis zwischen Nationalstaaten und Imperien.

Der Niedergang der Imperien am Ende des Ersten Weltkriegs hinterließ rund um das Schwarze Meer eine Fülle von Widersprüchen, die stärker werden:

Zweifellos ist das ein Raum, der die Europäer in der Zukunft noch sehr viel Geld kosten wird. Und zwar nicht nur infolge des Wiederaufbaus der Ukraine, sondern auch dann, wenn sie ihrer Strategie folgen, Räume durch Wohlstandstransfer zu befrieden.

Momentan ist dieser Raum eine verschachtelte Kriegszone und der Ruf nach Verhandlungen wird lauter. Allerdings, so Münkler:

Die Kunst bei der Schaffung von Friedensordnungen besteht darin, einen Frieden herzustellen, der keine revisionistische Macht aufweist. Das aber gelang eigentlich nur 1648 in Münster und Osnabrück, nach Ende des Dreißigjährigen Krieges, und vielleicht noch einmal 1815 beim Wiener Kongress.

Vieles deutet darauf hin, dass eine solche seltene Friedensordnung zumindest nicht sogleich entsteht.

Deshalb diskutiert der Politikwissenschaftler, der einige Standardwerke verfasste, Ansätze in der Geschichte und ob sie heute taugen könnten:

Erste Lösungsstrategie: Pazifizierung durch Wohlstandstransfer

Zweite Lösungsstrategie: Pazifizierung durch Appeasement

Dritte Lösungsstrategie: Pazifizierung durch Abschreckung

Um Russland zu echten Verhandlungen zu bewegen, muss der Führung klar sein, dass sie ihre Ziele nicht erreichen kann oder nur mit katastrophalen Folgen bis hin zum Zusammenbruch des eigenen Staats.

Das aber läuft auf die Stärkung der ukrainischen Durchhaltefähigkeit hinaus, sei es durch die Lieferung von Waffen oder sei es, was letzten Endes genauso wichtig ist, durch die Garantie der Zahlungsfähigkeit des ukrainischen Staates.

Aber spielt die ukrainische Regierung dabei mit und zu welchem Preis? Noch ist dabei vieles offen, aber:

Kiew wird sich auf Friedensverhandlungen oder auf Verhandlungen über einen stabilen Waffenstillstand nur dann einlassen, wenn die Europäer der Ukraine umfassende Sicherheitsgarantien geben.

Das müssen die Freunde des Friedens wissen, die lautstark „Verhandlungen jetzt!“ fordern. Denn Sicherheitsgarantien zu geben heißt: Beim nächsten Angriff der Russen – oder auch der Ukrainer – sind die Europäer dann selbst Kriegspartei.

Im letzten Teil dieses Essays diskutiert Herfried Münkler Konsequenzen für die Welt(un)ordnung insgesamt. Sein Blick in die Zukunft ist, dass fünf große Mächte die Welt dominieren, aber anders als bei vergleichbaren Fünferordnungen in der bisherigen Geschichte kommt es diesmal auch und vor allem auf die zweite Reihe an. Und hier kommen wir wieder auf den brasilianischen Präsidenten Lula zurück.

Münklers vorläufiger Schluss:

Mit wem geht zukünftig Brasilien? Mit wem gehen die Afrikaner? Mit wem gehen die zentralasiatischen Republiken? Und natürlich wird dabei auch die Frage der Einflussgebiete wieder zurückkehren. Oder genauer gesagt: Sie ist ja längst zurückgekehrt, etwa in der Seidenstraßen-Strategie, mit der China sich große Einflussgebiete verschafft hat. Russland kann das nicht, weil es nicht über genug Geld verfügt. Es muss immer gleich zu militärischen Mitteln greifen. Insofern ist der Ukrainekrieg auch eine Sicherung von Einflussgebieten. Und das ist etwas, was dann irgendwann die anderen auch tun werden.

All das ist nicht sonderlich erfreulich. Aber es ist unerlässlich, dass man sich bereits jetzt auf das einstellt, womit in Zukunft zu rechnen ist. Wer das nicht tut, wird in jedem Fall zum Verlierer der sich jetzt vollziehenden Veränderungen werden.

Wer nur auf die Ukraine schaut, der sieht zu wenig

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Kommentare 4
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor einem Jahr

    Ich dachte schon Möglichkeit 4 zur Befriedigung würde vergessen:

    eine Verbesserung der Weltordnung. Allerdings weniger meiner Meinung nach indem man den Großen 5 einfach mal so sich die Welt aufteilen ließe.

    nein: die UN muss wesentlich gestärkt und reformiert werden.
    ja das kann wahrscheinlich nur mit Hilfe von einigen der 5 geschehen aber die genannte 2. Reihe wird hier letztendlich entscheidend sein.
    (Dies passt zu den genannten Beispielen 1648 Frieden und Wiener Kongress).

    Die kleine Volte, dass die oft so lapidar genannten Sicherheitsgarantien des Westens für die Ukraine (damit diese doch bitte bitte an den Verhandlungstisch kommt und zu Zugeständnissen an Russland bereit wäre) bedeutet,
    dass dann quasi automatisch ein Kriegseintritt folgen müsste, sobald Russland wieder angreift. .. - dies hier mal so deutlich ausgeführt zu sehen, ist wichtig.

    ps: imperiale Phantomschmerzen.. oje. Bei allem Verständnis - wie lange muss man darauf Rücksicht nehmen? bei eigentlich doch erwachsenen und an sich politisch gebildeten Berufspolitikern?
    seufz. 100 Jahre und noch immer Ausrede???

    ... Man kann Phantomschmerzen auch herbei reden, sich auf Imperium beziehen die es nie gab (= zb Hitler der gern ein Germanisches Reich in der Geschichte gefunden hätte und dann doch auf das Römische zurückgreifen musste) - und dann wird es pathologisch.

    Phantomschmerzen werden in der Medizin hauptsächlich psychologisch behandelt: insofern entspräche dies wahrscheinlich dem Apeasement-Ansatz plus Wohlstands-Hilfe.
    Aber irgendwann müssen "Patienten" auch mitmachen und wenn es gefährlich für sie selbst und andere wird, werden normalerweise durch die Gesellschaft Zwangsmaßnahmen ergriffen.

    Wir brauchen eine internationale Weltstaatlichkeit: mit Exekutive und Gewaltmonopol.
    Die schon vorhandenen Institutionen und Gesetze dafür werden allerdings durch Großmächte wie den Großen 5 und kleineren Vertretern zt aktiv behindert:
    USA verweigern nicht nur Teilnahme am Internationalen Gerichtshof, sie drohen sogar offen mit Einmarsch in DenHaag wenn es um einem ihrer Staatsbürger ginge, Russland klar blockiert im Sicherheitsrat und China interpretiert Menschenrechte bis ins Gegenteil mit dem Verweis auf die Relativität dessen und spielt mit dem schlechten Gewissen der Hauptverteter der Universalitätsgruppe aufgrund Kolonialismus etc.

    Aber auch Deutschland agiert wie die Mehrheit der Staaten im fast anarchistischen globalen Raum und agiert für den Einzelvorteil Deutschlands (=kurzsichtig und lobbygetrieben).

    Muss es erst wieder eine große Katastrophe geben, bevor ein Ruck durch die Weltengemeinschaft geht? Also 30jähriger Krieg Revolutionskrieg+Terrorregime Weltkriege? begrenzter Atomkrieg? (Weil ein unbegrenzter nichts übrig ließe) Oder Konfrontation mit etwas Außerweltlichem wie drohender Asteroid oder gar Aliens?

    ...Denn eine globale Pandemie mit Millionen Toten hat ja schon mal nicht gereicht...

  2. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor einem Jahr

    Münkler ist ein großartiger und gnadenloser Analytiker. Ja, da kommt was auf uns zu ….

  3. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor einem Jahr

    Brillanter Artikel mit vielen überraschenden Perpsektiven und Schlussfolgerungen. Das Auftauchen der Zahl Fünft bei den Großmächten. Die momentanen Probleme auf das Ende des ersten Weltkriegs zurückzuführen. Die schon erwähnte Folgerung, dass Sicherheitsgarantien ein tieferes Engagement als lediglich Waffenlieferungen beinhalten. Dann die Ehrenrettung des Appeasement: es habe Großbritannien und auch der Ukraine Zeit für militärische Vorbereitung gekauft.
    Gutes Beispiel, wie hier auf piqd.de Einflüsse aus ganz verschiedenen Richtungen zusammenlaufen und Leseerlebnisse verschaffen, die nicht alltäglich sind.

  4. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor einem Jahr

    "Es ist ein scheuklappenentsorgter Blick auf eine noch fragile Welt(un)ordnung, die das Verhalten auch von Präsident Lula im fernen Brasilien erklärt."
    Alter! Der Satz!
    Bin sehr Achim Fan! :)

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