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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: Ist jedes Kulturdokument eins der Barberei?

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergFreitag, 18.06.2021

Die Documenta in Kassel entwickelte sich von 1955 bis heute zu einer der weltweit wichtigsten Ausstellung für Gegenwartskunst.

Nun wird allmählich die dunkle Seite enthüllt: So war Werner Haftmann, eine der wichtigen Gründungsgestalten, nicht nur NSDAP- und sogar SA-Mitglied, sondern in Italien jagte und folterte er Partisanen.

Im Gespräch mit der Kunstwissenschaftlerin Julia Voss erläutert diese an zahlreichen Beispielen wie er zudem Lebensläufe reinwusch:

Werner Haftmann war Emil Noldes Biograf, der ihn zum «existenziellen Antifaschisten» stilisierte und ihm sogar einen ganzen Bilder­zyklus unterjubelte, den der expressionistische Maler während der Kriegsjahre angeblich in der inneren Emigration und mit freiheitlicher Gesinnung schuf.

Heute wissen wir, dass Emil Nolde zwar ein großer Künstler bleibt, aber auch ein Antisemit gewesen ist.

Werner Haftmann schuf in entscheidender Weise das Bild der Kunst im Kalten Krieg; die verfolgten politischen als auch die ermordeten jüdischen Künstler und Künstlerinnen fehlten.

Über die Gewalt­verbrechen möchte Haftmann jedoch auf keinen Fall sprechen. Deshalb kann man kaum von einer Dokumentation der Kunst des 20. Jahrhunderts sprechen. Die Geschichte der Moderne lässt sich nicht rekonstruieren, wenn man nicht über Mord sprechen will.

Er versteigt sich zur Behauptung, dass keiner der deutschen Maler der Moderne Jude war. Und das, obwohl ein so großer Künstler wie Rudolf Levy in der Shoah starb. Bis heute ist er nicht so bekannt wie Emil Nolde:

Man muss die Frage stellen, wie die Erinnerungs­politik und Erinnerungs­kultur verlaufen wäre, wenn nicht Emil Nolde, sondern Rudolf Levy im Zentrum gestanden hätte. Anders als bei Nolde hätte man nicht an einer Erzählung festhalten können, die um einen angeblichen inneren Widerstand, das eigene freiheitliche Denken und die Verachtung der Nazis als Kunst­banausen kreist. Bei Levy hätte über den Holocaust gesprochen werden müssen. Helmut Schmidt hat Nolde als erster Bundes­kanzler in sein Büro gehängt. Willy Brandt dagegen reiste 1973 als erster Bundes­kanzler nach Israel und überreichte Golda Meir als Geschenk ein Gemälde von Levy.

Wer dieses ungemein gehaltvolle Gespräch ins Grundsätzliche erweitern möchte, denn es gilt nicht nur für die bildende Kunst, sei daran erinnert:

Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.

Dieser Satz stammt aus einem der letzten, wenn nicht gar dem letzten Essay ÜBER DEN BEGRIFF DER GESCHICHTE von Walter Benjamin, der 1940 auf der Flucht vor den Nazi in den Selbstmord getrieben worden ist. Er steht aber auch auf dem Gedenkstein für den mittlerweile Weltbekannten in Port Bou.

Der nächste Satz des klassisch gewordenen Text lautet:

Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.

Das passt wieder zu aktuellen Auseinandersetzungen um Raubkunst, aber auch zur Geschichte der Documenta.

Julia Voss verknüpft im Gespräch immer wieder deren Geschichte mit heutigen Auseinandersetzungen:

Verblüffend ist aber, dass im Jahr 1987 die Guerrilla Girls bereits eine kleine Visiten­karte in Kassel verteilten, auf der stand: «Why in 1987 is documenta 95% white and 83% male?»

...

Es ist ein Irrglaube, dass es eine identitäts­politische Fraktion gibt, die mit Biografien argumentiert, und eine andere, die den Wert der Werke selbst erarbeitet. Biografien waren schon immer das Kraft­zentrum der Documenta, das kann unsere Ausstellung, denke ich, sehr gut vor Augen führen.

Julia Voss kuratiert mit zwei anderen die Documenta-Ausstellung in Berlin, die erstmals die dunkle Seite zeigt. Sie ist von heute bis zum 09. Januar 2022 zu sehen; hier gibt es das Booklet der Ausstellung, in der ZEIT findet sich diese Kritik.


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