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„Die alleinerziehende Mutter ist doch nicht sozial schwach“

Charly Kowalczyk
Journalist

Ich bin in Singen am Hohentwiel geboren und lebe in Potsdam. Schreibe Radiofeature für den Deutschlandfunk und für die Sender der ARD. Bin Mitgründer des Bremer Hörkinos. Seit nun fast 19 Jahren stellen wir in Bremen ein Radiofeature der Öffentlichkeit vor.
www.bremer-hoerkino.de

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Charly KowalczykMontag, 06.04.2020

Gerhard Trabert wurde gerade als „Hochschullehrer des Jahres“ ausgezeichnet. Der Wiesbadener Professor im Studiengang Soziale Arbeit für die Fachgebiete Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie hat in Mainz den Verein „Armut und Gesundheit“ gegründet. Neben seinem Engagement für Obdachlose kümmert er sich auch um Kinder von krebskranken Eltern. Oder war selbst an Seenotrettungsmissionen beteiligt. Das Gespräch mit ihm im Berliner „Tagesspiegel“ ist eines der wunderbarsten Interviews, die ich seit Monaten gelesen oder gehört habe.

Das liegt nicht nur daran, dass Trabert mit Empathie erzählen kann. Er kann einordnen, ohne großen Pathos und ohne große Eitelkeit. Während der Corona-Pandemie werden hierzulande Menschen schon wütend, wenn ein Kind oder gar ein Erwachsener den Abstand von zwei Metern nicht ganz einhält. Wenn man dann liest, was Gerhard Trabert über das Flüchtlingslager in Griechenland berichtet, wirkt diese Wut fast schon exzentrisch:

Es war eine verstörende Erfahrung, innerhalb Europas von einer Welt in die andere zu kommen. Im Flüchtlingslager Moria, das für 3.000 geflüchtete Menschen konzipiert war, leben derzeit mehr als 20.000 Menschen ohne ausreichende Versorgung dicht gedrängt unter katastrophalen hygienischen Bedingungen – während wir in Deutschland räumliche Distanz halten können.

Einen großen Aufschrei gibt es deswegen in Deutschland nicht. Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Pandemie in den griechischen Flüchtlingslagern wütet.

Trabert ist auch Arzt. Er arbeitete in Mossul im Irak. In Syrien. In Kenia. Und er fürchtet nicht, sich auf schwierige Situationen einzulassen. Doch es wirkt wenig eitel, wenn er darüber berichtet. Spannend finde ich in diesem Interview auch, wenn er um die Deutungshoheit von Begriffen ringt:

Neulich stand über einem Interview „Sozialmediziner kritisiert, dass die politisch Verantwortlichen eine zu große Distanz zu sozial Schwachen hätten." Die alleinerziehende Mutter ist doch nicht sozial schwach! Sie ist einkommensschwach oder „sozial benachteiligt“. Sozial schwach sind für mich Menschen, die sich ihrer Solidargemeinschaft entziehen – wie der ehemalige Rennsportweltmeister und Wiesbadener Nico Rosberg, der jetzt in Monaco lebt und keine Steuern zahlt. Wer über Armut redet, muss auch über Reichtum sprechen“.

Das Interview ist anregend. Die Journalistinnen stellen interessante Fragen. Zum Beispiel über seinen Umgang mit „Bettlern“ vor dem Supermarkt. Auch dass man ihn fragt, ob er genug Zeit für seine vier Kinder findet. Diese Frage wird Männern immer noch selten gestellt. Spannend ist auch, wenn er darüber berichtet, dass in Kenia sich niemand umbringen würde, weil er arbeitslos ist. In Deutschland dagegen sei die Suizidquote bei Langzeitarbeitslosen 20-fach höher als bei Erwerbstätigen.

Auch Mediziner machen Fehler, sagt Gerhard Trabert.

Als ich 2017 in Mossul war, im Irak, kam am ersten Tag ein Zivilist, der in eine Sprengfalle geraten war. Blutverschmiert lag er auf der Bahre, der linke Oberschenkel war fast abgetrennt. Er greift an meine Hose. Ich merke, wie ich denke, oh, ich hab nur die Hose dabei… und streifte seine Hand weg. Dann intubieren wir, er nimmt erneut meine Hand. Ich habe noch keine Handschuhe an und denke, Mist, die ist jetzt auch blutverschmiert. Streife seine Hand wieder weg. Später hab ich gedacht: Was hast Du da eigentlich getan? Der Mann hatte Angst gehabt, zu sterben. Er wollte Berührung, und du hast sie ihm nicht zugestanden.

Für mich ein Interview, das Mut macht. Ich glaube, das tut gerade in solch einer Krisenzeit gut.

„Die alleinerziehende Mutter ist doch nicht sozial schwach“

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Kommentare 1
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 4 Jahren

    moria und Corona - da wird noch was auf uns zu kommen.

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