Wenn Menschen Teil einer Herde werden, werden sie irgendwann zu Tieren - es ist ein martialisches Urteil über unsere Spezies. Aber wer die HBO-Dokumentation Clusterf*ck ansieht, hierzulande friedlicher mit Absolutes Desaster: Woodstock 99 betitelt genannt, wird der Aussage eines Besuchers zustimmen, der vor 23 Jahren das Revival des legendärsten aller Musikfestivals erlebte. Besser: erleben musste. 

Zum 30. Woodstock-Jubiläum haben findige Geschäftsleute die Blumenkinder-Party an ähnlicher Stelle wiederholt - allerdings nicht, für Peace, Love and Harmony, sondern Kohle, Kohle, Kohle. Das Resultat kann man nun endlich auch in deutscher Fassung bei Netflix bestaunen: Zigtausend Besucher in sengender Hitze - ohne Schatten, Wasser, Klos und Regeln, denen die Veranstalter vier Dollar fürs billigste Getränk abnahmen und am Ende auch die Würde.

Vor allem aber sieht man Veranstalter und Gäste, die das Geländer zum Schlachtfeld machten, auf dem Frauen vergewaltigt, Ordner verdroschen und Bühnen angezündet wurden. Drei Teile lang blickt Regisseur Garrett Price auf die Ereignisse von damals zurück. Und noch immer ist es absolut schockierend, wie für den Profit bedenkenlos Menschenleben riskiert (und drei sogar beendet) wurden oder wie animalisch sich besonders Männer gebärden, wenn man zivilisatorische Fesseln löst.

Das macht die Dokumentation zwar schwer erträglich, aber zum aussagekräftigen Sinnbild der späten Neunzigerjahre, in denen der Hedonismus jener vergleichsweise friedlichen Tage vor 9/11 endgültig von Konsumismus und Populismus gefressen wurde - gut hier nachzulesen.